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Und die Ratte lacht - Roman

Und die Ratte lacht - Roman

Titel: Und die Ratte lacht - Roman
Autoren: Persona Verlag
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und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus. Heilige Maria, Muttergottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.
    Einmal in der Woche geht die alte Frau zum Arzt und hofft, dass er die geronnene Dunkelheit nicht entdeckt, die ihre Adern verstopft.
    *
    »So wäre auch Finsternis nicht finster bei dir.« Schöne Worte, die selbst sie verstand, zumindest glaubte sie, sie verstehen zu können. Der, mit dem sie Kinder auf die Welt brachte, hatte nie aufgehört, nach Trost zu suchen.
    Nie hatte sie ihn »mein Mann« genannt.
    Er hoffte, eine Erklärung zu finden, oder zumindest eine Bedeutung.
    Es war nicht die alte Frau, die ihn auf die Suche schickte. Er tat es aus eigenem Antrieb. Vielleicht fühlte er, dass er es war, der von ihnen beiden Barmherzigkeit benötigte, weil er sich mit einer Frau verbunden hatte, die ihn von vornherein als jemanden ansah, der ihr den Rücken zudrehen würde.
    Immer wieder wollte er ihr beweisen, dass er keine falschen Versprechungen machte. Als seine Zeit kam, hatten sie auch ihn unter die Erde gebracht, obwohl sie zugeben muss, dass er versucht hat, sich zu verabschieden.
    Hatte sie ihn geliebt? Schließlich hatte sie Kinder mit ihm gehabt.
    Die alte Frau zögert mit der Antwort. Sie hatte zwar die Last der Liebe getragen, doch da war immer die Angst gewesen, er würde eines Tages aufstehen und weggehen.
    Und es gab noch andere Dinge, die er, den sie nie »mein Mann« nannte, zu ihr gesagt hatte: »Es war dir mein Gebein nicht verborgen, als ich im Verborgenen gemacht wurde, als ich gebildet wurde unten in der Erde.« Die alte Frau wollte diesen Psalm Davids nicht hören. Das Flehen um himmlische Helfer ist die Erfindung von Menschen, die sich im Licht verstecken. Sie haben nicht die geringste Ahnung.
    Trotzdem dachte sie über das »gebildet unten in der Erde« nach. Diese Formulierung hätte sie gern als Schlüssel für die Geschichten benutzt, die noch geschrieben werden würden.
    *
    Das Mädchen, das sie einmal war, dachte, dass auch Gott, wer immer das sein mochte, sich für sie schämte, sonst hätte er sie nicht in der Dunkelheit versteckt. Vielleicht hatte er sie während der Schöpfung vom Licht getrennt, um sie nicht sehen zu müssen. Sie verstand auch nicht, ob er der Vater oder der Sohn war.
    Und wenn es ihn wirklich gibt, dann ist Gott die Mutter, die ihr den Rücken zudreht.
    *
    Warum ausgerechnet die Enkelin?
    Warum erzählt sie es nicht der Tochter?
    Die Tochter der alten Frau, schon nicht mehr jung und noch nicht alt, taugt nicht als mögliche Zuhörerin. Es ist nicht klar, wer sie für untauglich erklärt hat. Die alte Frau hat die Geschichte verschoben, jedesmal aus einem anderen Grund. Irgendwie kam es ihr immer vor, als gefährde die Geschichte den Seelenfrieden der Zuhörerin, als könne sie sogar die Kette des Gebärens gefährden. Auch die Tochter hatte sich entzogen. Vielleicht hatte sie gefühlt, dass ihr dadurch die Mutter genommen und durch ein zerbrochenes Geschöpf ersetzt werden könnte, gesichtslos und ohne Persönlichkeit. Um die Wahrheit zu sagen, die Tochter schrieb der Geschichte überirdische Kräfte zu. Wer sie für die Weigerung, die Last der Geschichte zu übernehmen, tadeln wollte, übersah das Element von Angst in der Geschichte.
    Ohne Angst wäre keine Geschichte das, was sie ist.
    *
    Die alte Frau nähert sich dem gefährlichen Bezirk, der Grenze der Kontrolle, dem Punkt, an dem sie nicht mehr in der Lage sein würde, den Faden der Geschichte in der Hand zu halten.
    Die Schritte des Sohns der Bauern.
    Im Alter von fünf Jahren konnte sie schon zählen. Bis zehn und dann wieder von eins. Er steigt herunter und kommt näher, mit schweren Beinen, das Holz der Leiter knarrt. Die neunte Sprosse ist wacklig. Ave Maria, Heilige Muttergottes, mach, dass er stolpert und stürzt. Aber der Sohn der Bauern kennt das Hindernis, steigt vorsichtig darüber und kommt näher. Sie zählt, bis sie keine Zahlen mehr hat.
    Sie weiß nicht genau, wie alt er ist. In ihren Augen ist er ein Mann. Er gehört zum Stamm von Erwachsenen, Bösen, Lügnern, Betrügern.
    Sie will nie erwachsen werden.
    *
    Die Enkelin unterbricht sie.
    Das ist nicht die Geschichte, die ich wollte.
    Es hängt nicht von dir ab.
    Aber ich will diese Geschichte nicht.
    Es gibt keine andere.
    Jetzt ist es zu spät zum Aufhören.
    *
    In aller Unschuld, ohne zu wissen, was sie erwartete, hatte sich die Enkelin für die Rolle der Zuhörerin entschieden. Die ganze
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