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Und die Goetter schweigen

Und die Goetter schweigen

Titel: Und die Goetter schweigen
Autoren: Anna Janson
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Nifelhel, die neblige Unterwelt, wird sie an sich ziehen.«
    »Können wir dir an Stelle des Kindes etwas anderes anbieten?«, schlug der Professor vor. »Meine Freiheit, meinst du? Ich bekomme den Jungen, Emil, als Geisel und einen Helikopter mit Besatzung. Ich habe das Recht auf ein Kind.« Maria war, als hätte sie einen Peitschenhieb ins Gesicht bekommen. Eine wahnsinnige Forderung. Außerdem hatte Sturm bereits sein hübsches Gesicht in den Medien gezeigt und herausposaunt, dass Disa Månsson dank der systematischen und ehrgeizigen Arbeit der Polizei in Kronköping gefasst worden war. Jetzt standen Presse und Fernsehen bereit, mitzukommen und dabei zu sein, wenn Mutter und Tochter wieder vereint wurden, glücklich oder unglücklich. Der Nachrichtenwert war bei beiden Möglichkeiten gleich groß. Maria spürte den kalten Schweiß ihre Achseln herunterlaufen. »Noch bist du nicht verurteilt. Aber es kommt ein Gerichtsverfahren auf dich zu«, meinte Morgan. »Gibt es etwas anderes, was du dir wünschst?« Maria starrte den Professor verständnislos an. Worauf wollte er hinaus? Es war doch klar, dass sie wegen Mordes verurteilt würde, und das musste sie auch begreifen, oder …? »Ich habe nichts Unrechtes getan. Ich habe nie meinen Eid gebrochen. Was ich versprochen habe, habe ich gehalten. In offenem Streit habe ich Krieger nach Walhall geschickt, die sonst im Herbst ihres Alters in Nifelhel verrottet wären. Ich habe die Sitten eingehalten, habe den Göttern geopfert. Weshalb sollte man mich verurteilen?«
    »Wenn das Kind stirbt, wenn du es verhungern lässt, hast du unschuldiges Blut an deinen Händen. Gibt es etwas, was wir dir im Austausch gegen das Kind geben können?« Maria kämpfte mit ihrer Wut und ihrer fürchterlichen Unruhe. Aber ihr Gesicht verriet nichts davon, während die Verhandlungen andauerten. »Entschuldige mich, ich glaube, wir ziehen uns ein Weilchen zurück«, sagte der Professor und wies zur Tür. Sie gingen hinaus. Maria hielt den Professor am Ärmel seines Mantels fest. »Worauf willst du hinaus?«
    »Wie heißt die Frau, die bei euch die technischen Dinge bearbeitet?«
    »Erika Lund?«
    »Kann ich ihre Telefonnummer haben?«
    »Was hast du vor?«
    »Einen Tauschhandel. Disa soll ein Angebot bekommen, dem sie nicht wird widerstehen können. Ich weiß nicht, was das Gericht dazu sagen wird. Sicher ist es ein Vergehen gegen die Grabruhe oder das Zurückhalten eines Beweises oder wie das nun immer heißen mag, aber es kann das Leben deines Kindes retten.«
    »Was willst du ihr denn anbieten?«
    »Den Kopf aus dem Brunnen in einer Schüssel. Ich will ihn ihr eine Zeit lang leihen, und ich werde jedem raten, ihn Disa nicht wegzunehmen, das würde bedeuten, dass man um ein vorzeitiges Begräbnis bittet. Früher oder später bekommt sie Freigang, und dann will ich nicht derjenige sein, der seinen Eid gebrochen hat.«
    Arvidsson war als Erster an dem kleinen Haus. Hinter ihm heulten die Sirenen des Krankenwagens. Auf dem Gehöft war kein Zeichen von Leben. Kein Rauch aus dem Schornstein, kein Schreien eines Kindes. Ein Auto stand mit Schnee bedeckt vor dem Stall. Arvidssons Kiefer verkrampften sich, er biss vor Angst die Zähne zusammen. Draußen waren es neun Grad minus. Wie kalt konnte es drinnen in der Hütte sein? Der Schnee knirschte unter den Stiefeln, als er losrannte. Die kalte Luft schmerzte in seiner Lunge. Der bleiche Mondschein verwandelte die Äste der Bäume in schwarze ausgemergelte Finger, die in der grabesähnlichen Stille nach dem Leben selbst griffen. Die Tür war abgeschlossen. Arvidsson tastete unter den losen Dachpfannen nach dem Schlüssel und fand ihn. Das Scheinwerferlicht hatte ihn geblendet. Das Schlüsselloch lag im Schatten seines Körpers. Es war schwer, das Schlüsselloch zu finden. Die Tür wurde aufgedrückt. Eine Ratte lief über den Fußboden. Der Schein der Taschenlampe tastete sich Stück für Stück über den Küchenfußboden. Die Kälte war beißend. Kein Kind! Arvidsson schluckte. Panik rauschte durch seine Adern, hämmerte im Körper. Das Haus war leer! Wie sollte er das Maria beibringen? Er sah ihre Augen vor sich, groß und ängstlich. Der Lichtkegel suchte noch einmal. Ein kleines Stück einer Flickendecke guckte unter dem Deckel der Sitzbank heraus. Der Augenblick gefror zu Eis. Mit zitternden Händen hob Arvidsson den Deckel hoch. Wie bei einem Sarg, musste er denken. Ein regungsloses Bündel lag eingewickelt auf dem Boden der Bank. Eine kleine
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