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Und dennoch

Und dennoch

Titel: Und dennoch
Autoren: Hildegard Hamm-Bruecher
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Wichtiger noch als dieser theoretische Hintergrund: Ich bewunderte den Stolz der Amerikaner auf ihren Democratic Way of Life und auf die vielzitierte Graswurzeldemokratie , vor allem auch deshalb, weil die damit verbundenen Vorstellungen gleichermaßen für Männer und Frauen Gültigkeit hatten. So sollte es auch bei uns werden! Das jedenfalls nahm ich mir vor. Nach meiner Rückkehr stieß ich damit aber auf wenig Gegenliebe.
    Unsere Staatsform Demokratie hatte man auf den deutschen Obrigkeitsstaat gesetzt, und noch heute rangiert das Primat der Regierungsgewalt zumeist vor der demokratisch legitimierten Legislative. Dies war, meiner Überzeugung nach, ein Geburtsfehler unserer Demokratie, den man im Laufe der Jahrzehnte zwar immer mal wieder zu beheben versuchte, aber eine wirkliche Revision fand nicht statt. Noch immer nimmt die Regierung auch große Teile der Legislative wahr. Das heißt: Sie macht die Gesetze, sodass das Parlament überwiegend nur als eine Art Notar für ihre Entwürfe fungiert.
    Im Sommer 1950 kehrte ich in die nach wie vor demokratieskeptische Bundesrepublik zurück, nun allerdings mit zwei großen Koffern voller Bücher und Kleidern aus Kaufhaus-Basements. Hatte ich zuvor Ereignisse meiner Zeit nur als Lern- und Orientierungsprozess erfahren, begann für mich jetzt ein ganz neuer Lebensabschnitt: Ich musste mich politisch festmachen und begreifen, was es bedeutet, selbst für mein politisches Tun und Lassen verantwortlich zu sein. Aber ich war voller Tatendrang, voller neuer Kenntnisse und Erkenntnisse. Und ich war entschlossen, dafür einzustehen, wovon ich überzeugt war. Von nun an wurde Politik zu meinem Lebensberuf, das Bohren dicker Bretter und viel Leidenschaft eingeschlossen. Geduld und Augenmaß waren dagegen nicht gerade meine Stärke!

    Die fünfziger Jahre im Landtag – auf dem Weg zur Emanzipation.

2
Über Politik als Frauenberuf: Wege zu einer freischaffenden Liberalen
    1945 kannte ich weder das Wort Emanzipation noch Gleichberechtigung als Begriffe für Frauenpolitik. Ich denke, dass dies den meisten Frauen damals ähnlich ging, selbst wenn sie bereits ein Stück Eigenständigkeit im Beruf und in der Lebensführung erreicht hatten. Dass ich ein schweres Studium erfolgreich absolviert hatte und frühzeitig gezwungen war, auf eigenen Beinen zu stehen und für meine jüngeren Geschwister zu sorgen, das war zwar ungewöhnlich, aber kein Grund, viel Aufhebens davon zu machen. Erst als mir nach Kriegsende klar wurde, was Männer angerichtet hatten und dass wir Frauen nun bereits zum zweiten Mal innerhalb von dreißig Jahren die Lasten- und Leidtragenden waren, fiel es mir buchstäblich wie Schuppen von den Augen. Mit der männlichen Alleinherrschaft musste es ein Ende haben, und ich wollte dazu beitragen, dass Frauen an öffentlichen Dingen teilnahmen und teilhatten. Wie aber sollte »das Mädle« in die Politik kommen, wie Theodor Heuss es mir 1946 geraten hatte?
    Das Mandat im Stadtrat war mir im Frühjahr 1948 gleichsam in den Schoß gefallen, und die Männer in dieser Gemeindevertretung verhielten sich mir gegenüber nett und gönnerhaft, solange ich nicht mit Ideen und Vorschlägen daherkam, die in ihre Reservate hineinwirkten, solange ich sie nicht zu nerven begann. Alsbald blieb das jedoch nicht aus. So wollte ich etwa wissen, weshalb weibliche Stadtverwaltungsangestellte eigentlich nicht in eine höhere Laufbahn aufsteigen und weder »Amtmännin« noch Leiterin einer städtischen Schule werden konnten. Außerdem interessierte mich, weshalb bei Veranstaltungen nur die »sehr geehrten Herren« angeredet wurden. Ein Grundgesetz mit einem Gleichberechtigungsartikel gab es zu dieser Zeit noch nicht.

    Gleichberechtigung – lange ein Fremdwort
    Unmittelbar nach meiner Rückkehr aus den USA, also 1950, landete ich als Abgeordnete in den Sielen des Bayerischen Landtags. Es war mein erster Versuch, Demokratie als Staatsform in Gestalt seiner Legislative praktisch zu erproben. Während sich in Deutschland eine Frau damals noch tausendmal dafür rechtfertigen musste, dass sie sich politisch engagierte, waren uns die amerikanischen und skandinavischen Mitstreiterinnen schon weit voraus. Sie waren nicht mehr Einzelkämpferinnen, sondern hatten sich vom lokalen Verbund bis hin zu gesamtstaatlichen Netzwerken bereits überparteilich fest verankert. Ihre Programme wurden ernsthaft diskutiert und teilweise von der Politik übernommen.
    Nach diesem Vorbild gründete ich in München eine
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