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Und dennoch

Und dennoch

Titel: Und dennoch
Autoren: Hildegard Hamm-Bruecher
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sozialliberalen Koalition entschieden. Deshalb müssen wir ihn fragen, bevor wir dies ändern.
    (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Lebhafter Beifall bei der SPD)
    Haben wir aus den Irrtümern unserer Geschichte gelernt?
Auszüge aus der Danksagung anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Friedrich Schiller Universität Jena am 14. Juni 2005
    Ich empfinde es als eine freundliche Fügung, dass meine Ehrenpromotion justament in den Tagen der 200. Wiederkehr des Todestages Friedrich Schillers stattfindet und uns in Jena damit auch an jene Antrittsvorlesung vom 26. Mai 1789 (wenige Wochen vor Beginn der Französischen Revolution) erinnert, die den verheißungsvollen Titel trägt: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?
    Es wäre freilich vermessen, wenn ich mich als Schiller-Interpretin gerieren wollte. Dennoch ist es nicht vermessen, vielleicht sogar angemessen, auf zwei Anknüpfungspunkte hinzuweisen, die auch heute aktuell und bedenkenswert sind:
    Einmal ist es das mitreißende Pathos, mit dem der junge Historiker Friedrich Schiller (als erklärter Protagonist der Aufklärung) seine Hörer zum aufgeklärten und dogmenfreien Denken auffordert. Ich zitiere:
    Fruchtbar und weit umfassend ist das Gebiet der Geschichte; in ihrem Kreise liegt die ganze moralische Welt … Es ist keiner unter Ihnen, dem Geschichte nicht etwas wichtiges zu sagen hätte; alle noch so verschiedenen Bahnen Ihrer künftigen Bestimmung, verknüpfen sich irgendwo mit derselben. Eine Bestimmung aber teilen Sie alle … miteinander … sich als Menschen auszubilden … und zu den Menschen eben redet die Geschichte.
    Schillers Bekenntnis und leidenschaftlicher Appell zu aufgeklärtem geschichtspolitischen Denken ist, wie wir wissen, vor allem in Deutschland nur sehr allmählich und wechselvoll im konkreten politischen Handeln richtungsweisend und wirksam geworden. Allein deshalb ist es erinnernswert.

    Zum anderen sind auch die pädagogischen Intentionen Schillers höchst aktuell, mit denen er seine Hörer geradezu beschwört, sich Kenntnisse der »Universalgeschichte« für ihr bürgerliches, für ihr bürgerschaftliches Selbstverständnis anzueignen. Nochmals Schiller:
    Aus der Geschichte erst werden Sie lernen, einen Wert auf die Güter zu legen, denen Gewohnheit und unangefochtener Besitz so gern unsere Dankbarkeit rauben. Wie verschieden auch die Bestimmung sei, die Sie in der bürgerlichen Gesellschaft erwartet — etwas zusteuern können Sie alle!
    Schiller betont also die Bedeutung der Kenntnis von Geschichte als Quelle für das Verständnis der politischen Gegenwart, und er warnt vor Geschichtsvergessenheit. Auch das gilt — wie ich meine – bis heute und ist im Hinblick auf unser zeitgeschichtliches Identitätsdefizit aktuell!
    Da ist z.B. die alltägliche Versuchung der Politiker, im Fernsehen, um der Publizität willen, schnellstmöglich punkten zu wollen, was nicht nur zur Verkürzung und Vereinfachung komplexer Probleme führt, sondern auch dazu, dass es uns immer weniger gelingt, unser demokratisches Selbstverständnis mit geschichtlichen Erfahrungen und verbindlichen Einsichten zu festigen und damit eine reife und angemessene Ausbildung nationaler Identitäten zu ermöglichen.
    Nun, da dieses Manko offenkundig geworden ist, soll Abhilfe in Form eines Allround-»Patriotismus von oben« geschaffen werden. In einer freien Gesellschaft lassen sich jedoch weder Patriotismus noch Leitkulturen und Identitäten verordnen, und schon gar nicht, wenn sie nichts anderes sind als parteipolitisch aufgezäumte »Remakes« alter Denkmuster! Stattdessen müssen wir neue Identitäten aus demokratischen Wurzeln und aus den seit 1945 gewachsenen Gemeinsamkeiten und Erfahrungen neu begründen! Albert Einstein — ein anderer großer Jubilar dieses Jahres — hat hierzu eine kluge Einsicht beigesteuert. Zitat:
    Wir können unsere Probleme nicht mit den Denkmustern lösen, die zu ihnen geführt haben.
    Wie wahr! Und wie beherzigenswert! Den Politikern ins Stammbuch! Das Gleiche galt auch für die immensen Probleme der Nach-Hitler-Zeit! Diese nicht mit den alten, sondern mit »neuen Denkmustern« anzugehen und zu lösen, so definierte ich auch meine eigenen politischen Intentionen. (…)
     
    Nun aber stehen wir nach 60 Jahren an der Schwelle zu einer neuen Epoche und vor der Frage, wie es gelingen kann, dass auch kommende Generationen das dunkelste Kapitel unserer deutschen Geschichte als Warnung begreifen, wenn alle
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