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Und dennoch

Und dennoch

Titel: Und dennoch
Autoren: Hildegard Hamm-Bruecher
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zu einem wilden Aktionismus und »begrenzten Vandalismus« nach und illustriert damit am Rande das Schicksal der Väter der Protestbewegung, die heute zu Todfeinden und Konterrevolutionären verdammt sind.
    In den Methoden dieser »aktionistischen Irrläufer«, da fällt der rote Apfel allerdings nicht weit vom braunen Stamm der
Väter: der gleiche Totalitätsanspruch und die gleiche totale politische Dämonisierung des menschlichen Daseins von der Zeugung bis zur Bahre, vom Sex über die zweite Lautverschiebung bis zur Schwarzwälder Kirschtorte: die gleiche schonungslose Intoleranz gegen politisch Andersdenkende, der gleiche ideologisch aufgeheizte Fanatismus, diesmal nicht nationalsozialistischer, sondern internationalsozialistischer Ausprägung – und diese Formulierung ist spätestens seit der widerwärtigen Pogromstimmung gegen Israel, wie sie nicht erst anlässlich des Besuches des Botschafters Asher Ben Natan in Hamburg und Frankfurt geschürt wird, mehr als ein makabres Wortspiel. Denn immer dann, wenn nicht mehr mit Argumenten, sondern mit Gebrüll, Gestank und Fäusten gekämpft wird, muss sich bei uns die höchst fatale Parallele zum Faschismus aller totalitären Schattierungen einstellen.
    An dieser Stelle sind meines Erachtens Verständnis und Toleranz für derartige Praktiken studentischer Opposition mit einem Schlag zu Ende, und wenn über unsere Abscheu gegen solcherlei »Zeitvertreib« in dem bereits erwähnten Stück von Günter Grass vom jugendlichen Anti-Helden einmal behauptet wird, wir – die Älteren – seien auf die junge Generation ja nur neidisch, weil sie »so links und so lustig« sein dürfe, dann möchte man wünschen, es wäre so, denn wirklich »links« sein, das würde ja echtes, ausdauerndes und handlungsbereites Engagement gegen Hunger, Unterdrückung, Unrecht und Krankheit in der Welt bedeuten, aber davon ist schon längst nicht mehr – oder bestenfalls noch ganz am Rande – die Rede, und auch unter »lustig« möchte man sich gerne etwas Lustigeres vorstellen können als Farbeier aus dem Hinterhalt, Striptease im Hörsaal, Notdurft im Gerichtssaal und Pornographie an den Wänden. Ich frage mich oft, weshalb eigentlich all diese Manifestationen verspäteter Pubertät eine so ungeheure Publizität erfahren.

    Zur Erkenntnis der Situation
    Wie beunruhigend schlimm und kläglich das alles auch sein mag, für eine objektive Beurteilung dürfen drei Fakten nicht außer Acht gelassen werden:
    1. Es ist noch gar nicht lange her, dass wir das höchst mangelhafte politische Interesse der jungen Generation lautstark beklagt haben, und schon aus diesem Grunde können wir das erwachte Interesse nicht verdammen, weil es anders ausgefallen ist, als wir uns das gewünscht hatten. Wenn wir nichts Besseres wissen, als »Ruhe und Ordnung« wiederherzustellen, könnte die Demokratie mindestens ebenso gefährdet werden wie durch die derzeitige »Unruhe und Unordnung«, die zu unser aller Sorge überwiegend der Stärkung der sich formierenden Rechten zugutekommt.
    2. Die Protestbewegung hat ohne Zweifel einen Durchlüftungseffekt im inneren Gefüge unserer Gesellschaft erzielt, der notwendig und fällig war. Nicht nur unter den Talaren ist da allerhand Muff zum Vorschein gekommen, auch unsere Chance ist größer geworden, die Positionen demokratischer Gesellschaftspolitik sehr viel gründlicher, vernünftiger und rückhaltloser zu klären, als es uns in der Zeit gesellschaftspolitischer Flaute abverlangt wurde. (…)
    3. In den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten ist offenbar geworden, dass auch eine rechtsstaatlich gefestigte demokratische Ordnung nicht lebensfähig ist, wenn sie in den gesellschaftlichen Bereichen an chronischer Kreislaufschwäche leidet. Dafür hat es in der Ära des »keine Experimente« exemplarische Beispiele gegeben, und damals schon erhoben sich warnende, mahnende und kritische Stimmen über die Gefahren des demokratischen Immobilismus in unserem Land. Sie waren die Vorläufer der Protestbewegung. Hier seien nur die Schriften des Philosophen Karl Jaspers, des Pädagogen Hartmut von Hentig, des marxistischen Soziologen Jürgen Habermas, des liberalen Soziologen Ralf Dahrendorf und des konservativen Publizisten Hans Heigert genannt.

    Voraussetzungen für ein neues Demokratieverständnis
    Hier allerdings – an dieser entscheidenden Stelle – setzt unser Demokratieverständnis immer noch aus bzw. gar nicht erst ein, und zwar infolge eines grundlegenden, die
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