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Und dennoch

Und dennoch

Titel: Und dennoch
Autoren: Hildegard Hamm-Bruecher
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empfinde ich diesen Reichtum einer zwar klein gewordenen, aber frohen Familie.
    Immer wieder staune ich, um wie viel besser es Kinder heute haben als wir zu unserer Jugendzeit, und zwar nicht nur materiell, sondern auch in der Zuwendung der Erwachsenen. Dennoch: Wohin führt die prompte Erfüllung (fast) aller Wünsche und das Verständnis für (fast) alle Ungehörigkeiten? Tun wir unseren Kindern und Enkeln Gutes, wenn das, was von ihnen ersehnt und gefordert wird, alsbald zur Stelle ist? Sind nicht auch Erfordernisse wie Geduld haben, Anstrengungsbereitschaft erproben oder Regeln zu akzeptieren, zumindest zu respektieren, ein hilfreiches Training für ein späteres erfülltes Erwachsenenleben? Ich denke, hier ist ein Mittelweg zu finden zwischen früheren autoritär-gestrengen Erziehungsprinzipien und den überaus freizügigen von heute. Elternhaus und Schule sollten dabei zusammenwirken.
    Aus all diesen Gründen habe ich dieses Buch meinen Enkeln Lea-Katharina und Maximilian – stellvertretend für ihre Generation – gewidmet. Vielleicht interessieren sie sich eines Tages für Geschichte und Politik sowie für die ziemlich turbulente Lebenszeit ihrer Großeltern. Sie können daraus lernen und dazu beitragen, dass Unfreiheit sich nicht wiederholt. Denn das erweist sich als die eigentliche Stärke einer gefestigten Demokratie: die Lernbereitschaft und Lernfähigkeit ihrer Bürger. Und in unserem besonderen Fall zudem so etwas wie ein kollektives Geschichtsgedächtnis nicht nur für gute, sondern auch für weniger gute Zeiten. Wenn all das bislang nicht vollkommen realisiert ist, so gibt es dennoch Fortschritte.
    Das ist meine wichtigste Erfahrung mit unserer nun über fünfundsechzigjährigen Demokratie: Dass Freiheit, wenn von ihr verantwortlich Gebrauch gemacht wird, nicht nur den Einzelnen, sondern auch ein Volk lernfähig macht. Und das war es, worauf es mir vor allem ankam und worauf es auch in Zukunft ankommen wird.

ANHANG
Ausgewählte Texte aus sechs Jahrzehnten
    Wahlkampf 1948
Ansprache im Bayerischen Rundfunk am 18. Mai 1948
    Liebe Hörerinnen und Hörer, uns ABC-Schützen der Demokratie wird es nicht besser gehen als früher in der Schule: Erst wird das kleine Einmaleins wirklich sitzen müssen, bevor wir das »große« mit Erfolg üben können, und wenn wir in diesen Wochen unsere kommunale Selbstverwaltung für vier Jahre neu wählen, dann werden wir beweisen können, welche Fortschritte wir im »Kleinen« gemacht haben.
    Für die Wertung dieses Fortschrittes gibt es keine »mildernden Umstände«. Wenn das oft gehörte Bedenken – eine Demokratie könne unter einer Besatzungsmacht nicht selbstständig werden –, vielleicht auch bisweilen zutrifft, als Begründung für das Nichtfunktionieren der kommunalen Selbstverwaltung ist es, gelinde gesagt, eine faule Ausrede. Bei einigermaßen vernünftiger Verwaltung gibt es dort keinen Bereich, in dem ein Eingriff oder ein Veto der Besatzungsmacht zu befürchten wäre. Hier können organische demokratische Lebensformen so ungestört wachsen und eingeübt werden, dass sich später die heute noch überwachten größeren Funktionen spielend mit einbeziehen lassen.
    Jede – und sei es nur die kleinste – Besserung oder Erleichterung in unseren alltäglich-unerträglichen Lebensverhältnissen wird sich im Großen bezahlt machen, denn auch im kleinen Einmaleins der Demokratie macht Übung, und abermals nur Übung macht Meister, und praktische mehr als theoretische.
    Vielleicht wird es Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, die Sie
zufällig oder regelmäßig zu dieser Stunde am Radio sitzen, ein wenig verwundern, dass ich mir – falls ich gewählt werde – für diese, mir so entscheidend dünkende Arbeit im Stadtrat kein festes Programm aufgestellt, ja nicht einmal vorgenommen habe. Es sind nur einige prinzipielle Grundsätze, die meine kommunale Arbeit bestimmen würden; Grundsätze, die nicht das Wohl und Wehe einer Partei, sondern das des Menschen zum Inhalt haben. In erster Linie geht es nicht um die Zahl der Mandate, um eine erfolgreiche Parteitaktik oder um Stimmenfang. Es wird bei einer liberalen Kommunalpolitik vor allem um die Entlastung und Ermutigung des geplagten Bürgers gehen; gleichermaßen geplagt von staatlicher, städtischer und sonstiger Verwaltungsbürokratie, wie auch von den Folgen engstirniger und engherziger Kirchturmpolitik, von Umstandskrämerei, von anonymen Schikanen und unfreundlicher Vernachlässigung oder gar Missachtung des
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