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und das geheimnisvolle Erbe

und das geheimnisvolle Erbe

Titel: und das geheimnisvolle Erbe
Autoren: Nancy Atherton
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seine Wirkung, und als William Willis senior ins Zimmer trat, war ich im Stande, ihm fast gelassen entgegenzusehen.
    Es war schwer, sich vorzustellen, dass er mit Bill verwandt war. Ein schmächtiger, glatt rasierter Mann Anfang sechzig, mit hoher Stirn und kühn geschwungener Nase, in makellosem dunklem Anzug mit Weste. Nicht nur zog sich Willis senior besser an als sein Sohn, es gab noch einen Unterschied.
    Denn während Bill seit dem Augenblick, wo ich über die Schwelle gestolpert war, mich mit Freundlichkeit überschüttet hatte, benahm sich sein Vater so formell, als wäre er gerade einem Benimmbuch entstiegen. Es schien, als wisse er genau, wie viel Kraft, in Pfund pro Quadratzentimeter, sein Hän-dedruck nicht nur bei diesem, sondern auch bei jedem anderen Anlass auszuüben habe. Peinlichst auf Höflichkeit bedacht, merkte man ihm nicht gerade an, dass er sich über irgendetwas freute.
    Was konnte Bill gemeint haben? Der hatte es sich in dem anderen Ledersessel bequem gemacht und war beim Eintreten seines Vaters still geworden, beobachtete ihn jedoch mit vor Erregung glänzenden Augen.
    Nachdem er mich mit dem wohldosierten Hän-dedruck begrüßt hatte, setzte sich Willis senior hinter den Schreibtisch, schloss die mittlere Schublade auf und nahm eine Akte heraus, die er sorgfältig vor sich auf die Tischplatte platzierte. Dann öffnete er sie und sah sich den Inhalt einen Augenblick nachdenklich an, worauf er sich räusperte und seinen Blick auf mich richtete. »Ehe ich anfange, meine junge Dame, muss ich Ihnen ein paar Fragen stellen. Bitte antworten Sie wahrheitsgemäß, wobei ich Sie darauf hinweisen muss, dass Falschaussagen mit hohen Strafen belegt werden.«
    Ich hatte plötzlich das Bedürfnis, Bill Hilfe su-chend anzusehen, aber ich unterdrückte es. Bill sei-nerseits blieb stumm.
    »Könnte ich bitte Ihren Führerschein sehen?«
    Ich zog meine Brieftasche aus der Tasche des Sweatshirts und reichte ihm das Gewünschte.
    »So«, sagte Willis senior. »Würden Sie mir jetzt bitte Ihren vollen Namen und Ihren Geburtsort nennen?«
    So fing das an, was ich später das große Frage-und-Antwort-Quiz nannte – Willis senior stellte die Fragen, ich gab die Antworten. Was war der Mäd-chenname meiner Mutter? Wo war ich zur Schule gegangen? Wo war mein Vater geboren? Wo hatte ich gearbeitet? Wer waren meine Taufpaten? Und so ging es immer weiter, fast wie eine rituelle Handlung. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, und noch immer folgte Frage auf Frage. Aus dem Augenwin-kel konnte ich Bill sehen, dessen Gesichtsausdruck mir unverständlich war. Es hatte mit einem un-merklichen Lächeln angefangen, welches immer freudiger wurde, bis es schließlich in ein großes, wenn auch nicht sehr intelligentes Strahlen überging. Willis senior schien meine Verwunderung zu teilen, denn als er einmal kurz von seinen Papieren aufsah und die Miene seines Sohnes bemerkte, geriet er einen Moment ins Stocken. Abgesehen davon zeigte Willis senior jedoch keinerlei Gefühlsregun-gen, weder beeilte er sich, noch zögerte er bei seinen Fragen. Nur wenn er umblättern musste, entstand eine Pause.
    Meine Erschöpfung musste mich gefügig gemacht haben, denn ich kam nicht einmal auf den Gedanken, ihm eine Gegenfrage zu stellen, wie zum Beispiel »Was geht Sie das alles an?« oder »Wer zum Teufel sind Sie, mich auf diese Art ins Kreuzverhör zu nehmen?«. Die Situation war so unwirklich, dass es mir schien, als spielte ich eine Rolle in einem Stück. Ich war sogar etwas stolz darauf, wie gut ich meinen Text beherrschte. Der hypnotische Rhythmus des Frage-und-Antwort-Quiz hatte mich in eine Art bereitwillige Gleichgültigkeit versetzt, bis Willis senior mir die letzte Frage stellte.
    »Und nun, junge Dame, würden Sie meinem Sohn und mir bitte die Geschichte Tante Dimity kauft eine Taschenlampe erzählen?«
    Plötzlich saß ich kerzengerade, dann stotterte ich ein paar zusammenhangslose Silben – und wurde ohnmächtig. Der Schock, diese Worte aus dem Mund eines Fremden zu hören, hatte bewirkt, was meine Expedition in Schnee und Kälte nach einem hektischen Tag ohne etwas zu essen nicht vermocht hatte: Das Drama hatte mich eingeholt. Ich erinnere mich nur noch, dass ich nach Luft schnappte, dann lag ich auf einem Sofa und sah verschwommen das Gesicht von Willis senior über mir.
    »Miss Shepherd, können Sie mich hören?«, fragte Willis senior, indem er sich zu mir herunterbeugte und mich ansah. »Ah, Sie sind aufgewacht. Gut, gut.«
    Ich
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