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... und dann bist du tot

... und dann bist du tot

Titel: ... und dann bist du tot
Autoren: Hilary Norman
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sich jeden Tag ihres Lebens auf das Tanzen und konnte sich nicht vorstellen, es je aufzugeben. Aber Lally liebte das Leben in all seinen Facetten zu sehr, um sich ausschließlich dem Ballett zu widmen. Sie war nie eine Sklavin von Ritualen gewesen, und wenn besonders schönes Wetter oder die Luft besonders frisch war, ging sie viel lieber hinaus als zum Ballettunterricht. Und wenn ein Freund eine helfende Hand oder eine Schulter zum Ausweinen brauchte, dachte Lally nie lange über ihre Prioritäten nach, denn für sie waren Menschen stets wichtiger als das Tanzen. Daher hatte sie schon früh nach einem Kompromiss gesucht und ihn darin gefunden, Ballettunterricht zu geben.
    Der Unterricht in der Lally-Duval-Tanzschule fand in einer alten umgebauten Scheune statt, die neben Lallys Haus lag. Sie unterrichtete Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren. Heute Nachmittag bestand die Gruppe hauptsächlich aus Zehnjährigen, unter ihnen auch Katy Webber, die Schülerin, die sie am Telefon Joe gegenüber erwähnt hatte.
    Katy war eine der vielversprechendsten Schülerinnen, die Lally je unterrichtet hatte. Sie war ein hübsches, schlankes Mädchen mit blondem Haar, das aussah wie ein zerbrechliches Reh, aber die notwendige Konstitution und Entschlossenheit eines Berufsboxers besaß. Katy fehlte nie und verfügte über die nötige Portion Leidenschaft, Ehrgeiz und Mut, die für eine Tänzerin notwendig sind. Lally war jedoch froh, dass Katy neben diesen Begabungen auch die Fähigkeit zeigte, sich am Leben zu erfreuen. Und es war sonnenklar, dass das seelische Gleichgewicht des Kindes von ihren Eltern, Chris und Andrea Webber, gehegt wurde, die ihre Tochter ermunterten und offensichtlich anbeteten.
    Vor einigen Monaten hatte Lally während des Unterrichts die Versteifung bemerkt, einen geringfügigen Verlust der Geschmeidigkeit in Katys Rücken. Als sie Katy nach dem Grund fragte, hatte diese herumgedruckst, und Lally hatte es daher unterlassen, eine Antwort zu erzwingen. Zwei Tage später schien mit Katy wieder alles in Ordnung zu sein. Als Lally in der folgenden Woche sah, dass sie bei einer Arabesque zusammenzuckte, hatte sie ihr befohlen, das Training abzubrechen und nach dem Unterricht zu ihr zu kommen.
    An jenem Abend rief Andrea Webber sie an.
    »Katy möchte, dass ich sie entschuldige, weil sie gegangen ist, ohne mit Ihnen gesprochen zu haben.«
    »Das macht nichts«, sagte Lally. »Ich hatte nur den Eindruck, dass sie heute ein paar kleinere Schwierigkeiten zu haben schien, und wollte mich lediglich vergewissern, dass mit ihr alles in Ordnung ist.«
    »Mein Mann und ich haben das Gefühl, dass sich Katy möglicherweise eine Erkältung zugezogen hat. Darum haben wir sie nach dem Unterricht sofort abgeholt und ins Bett gesteckt.«
    Da Katy in der nächsten Ballettstunde fehlte, ging Lally davon aus, dass ihre Schülerin tatsächlich mit einer Grippe im Bett lag. Als Lally jedoch drei Wochen später in den Mädchenumkleideraum kam, um eine tropfende Heizung' zu kontrollieren, fiel ihr Blick zufällig auf einen großen dunklen Fleck auf der rechten Pobacke des Mädchens, ehe Katy Zeit gehabt hätte, die Stelle mit einem Handtuch zu verdecken. Die Frage nach der Ursache erübrigte sich, als sie der Zehnjährigen in die Augen sah. Lally wusste plötzlich, ohne dass man es ihr gesagt hätte, dass der Fleck nicht von einem harmlosen Unfall herrührte. Sie erkannte es an der Angst und Verlegenheit, die sie für den Bruchteil einer Sekunde in Katys blauen Augen sah.
    »Was soll ich machen?«, fragte Lally Hugo am nächsten Morgen im Cafe.
    »Du kannst nichts machen, oder zumindest solltest du nichts machen.«
    »Wie kannst du so etwas sagen? Möglicherweise ist das Kind in Gefahr.«
    »Kinder haben ständig blaue Flecke«, sagte Hugo schulterzuckend, wobei sein Zopf hin und her hüpfte. »Das hat nichts zu bedeuten.«
    Vor zweieinhalb Jahren war Hugo Barzinsky in Lallys Haus gezogen, und seitdem war er ihr bester Freund. Hugo war ein langer, dürrer Bursche von vierunddreißig Jahren. Er hatte eine Adlernase, stets ein freundliches Lächeln auf den Lippen und glattes, hellbraunes Haar, das sich schon etwas lichtete, was er dadurch ausglich, dass er sein Haar lang trug und es normalerweise im Nacken zu einem Zopf zusammenband. Bis zu seinem sechsundzwanzigsten Lebensjahr hatte er beim Joffrey-Ballett in New York getanzt, doch nach einem brutalen Raubüberfall in Greenwich Village hatte er eine Rückenverletzung zurückbehalten, die
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