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Umzug ins Glück

Umzug ins Glück

Titel: Umzug ins Glück
Autoren: dtv
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überzeugen, weitere Kinder zu kriegen. Bei Tante Guste hing es wohl auch damit zusammen, dass ihr Mann direkt
     im Jahr 1939 fiel, sozusagen noch bevor der Krieg richtig in Schwung gekommen war. Mein Großvater hielt länger durch. Er starb
     erst irgendwann in den Fünfzigerjahren. Bei uns hieß es immer: Er war ein Opfer seines Glaubens, und zwar deshalb, weil er
     im Garten einen Blindgänger entdeckte und glaubte, er könnte ihn selbst entschärfen und das Metall dann weiterverwenden. Er
     hinterließ ein großes Loch und eine kleine Rente, und meine Oma und meine Mutter lebten fortan allein und in fußläufiger Entfernung
     von Tante Paula und Tante Guste.
    Das ist das zweite Prinzip unserer Familie: relativ frühe und häufig unnatürliche Todesarten, vornehmlich beiden angeheirateten Männern. Besonderen Ruhm erntete in dieser Beziehung mein Urgroßvater, der von einer Kirchenglocke erschlagen
     wurde. Dabei war er noch nicht mal besonders fromm. Aber immerhin weiß ich durch die in der Familie tradierte Geschichte,
     dass die Glocke runde 1000   Kilo wog und die Inschrift trug »Die Lebenden ruf ich, die Toten bewein ich«, was ich als Kind sehr schicksalhaft fand, bis
     ich später erfuhr, dass dieser Text nicht selten auf Glocken zu finden ist.
    Meinen Vater – und meine Mutter dazu – erwischte das Schicksal auf der A5 irgendwo hinter Karlsruhe, weil jemand eine Leiter
     auf der Autobahn verloren hatte. Es bringt meiner Überzeugung nach nicht zwingenderweise Unglück, wenn man unter einer Leiter
     hergeht, aber wenn man mit hundertsechzig im Dunkeln auf eine drauffährt, dann schon. Ich war zu der Zeit bereits mit Stephan
     verheiratet, sonst hätte ich vielleicht gar nicht mehr gewagt, das Leben eines mir nahestehenden Mannes durch eine Eheschließung
     zu gefährden. Auf jeden Fall passte ich eine ganze Zeit lang nach diesem Unfall wie eine Glucke auf ihn und meinen Sohn Magnus
     auf, bis meine überbehütende Art eine handfeste Ehekrise heraufbeschwor. Mühsam gewöhnte ich mir diese Einstellung wieder
     ab, was vermutlich unsere Ehe rettete.
    Stephan dankte es mir, indem er sich in den Kopf setzte, er könnte die SA T-Schüssel auf unserem Dach selber installieren. Das Installieren war nicht das Problem. Das Problem waren eher die extrem glatten Dachziegel
     und die Tatsache, dass Stephan nicht angeseilt war. So wurde Magnus mit dreizehn zum Halbwaisen und ich beinahe zur Alkoholikerin.
    Wenn nicht Tante Paula gewesen wäre, die sich in dieser Zeit rührend um uns kümmerte. Sie hatte zwar geheiratet, auf das persönliche
     Kinderkriegen jedoch verzichtet.Immerhin hatte Onkel Rudolf bereits einen Sohn aus erster Ehe, der aber (zum Glück, fand ich zumindest) meistens bei seiner
     Mutter lebte, bis er erwachsen war.
    In der Zeit nach Stephans Tod schickte Tante Paula Onkel Rudolf zur Arbeit oder auf die Jagd und machte es sich zur Aufgabe,
     Magnus und mich zu betreuen. Ich mochte sie immer schon gern, auch wenn ich es nicht richtig fand, dass sie auf Familienfeiern
     keine etwa gleichaltrige Kusine vorweisen konnte, mit der ich kichernd die neueste ›Bravo‹ hätte studieren können. Stattdessen
     hatte sie oft ihren widerlichen Stiefsohn im Schlepp, der zwei Jahre jünger war als ich und mich ärgerte, wo er nur konnte.
     Aber das war inzwischen verjährt, der schreckliche Nick hatte sich längst irgendwo in Bredenscheid als Architekt niedergelassen
     und aufgehört, mir Juckpulver in den Pullover zu schütten, und Tante Paula verwendete ihre gesamte Energie darauf, mich behutsam
     wieder ins Leben zurückzuholen.
    Deshalb konnte ich ihr nichts übel nehmen. Nicht die gelegentlichen Versuche, mich mit irgendeinem Sohn von Onkel Rudolfs
     Jagdgefährten zu verkuppeln, oder ihre extravaganten Vorschläge zur Verschönerung meines Hauses. Ein wenig konnte ich mich
     revanchieren, als Onkel Rudolf einige Jahre später einem Jagdunfall zum Opfer fiel (nein, er wurde nicht erschossen, sondern
     stürzte von einem morschen Hochsitz in eine Brombeerhecke, die ihm viele kleine, blutige Kratzer verpasste, und weil er es
     nicht für nötig hielt, sich danach eine Tetanusspritze geben zu lassen, verstarb er an einer völlig überflüssigen Sepsis).
     Wir hatten in erster Linie uns beide, und das war deutlich mehr als eine Zweckgemeinschaft, sondern trotz des Altersunterschieds
     eine echte Freundschaft.
    Natürlich war ich nicht nur mit Tante Paula befreundet. Ich hatte nette Nachbarn und einige
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