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Umzug ins Glück

Umzug ins Glück

Titel: Umzug ins Glück
Autoren: dtv
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Kolleginnen, mitdenen ich auch außerhalb der Arbeitszeit gern zusammen war. Aber in manchen Fällen ist Blut einfach dicker als Wasser, und
     deshalb war ich ganz schön besorgt, als ich dem Krankenwagen mit Tante Paula drin hinterherschaute. Sie war erst dreiundsiebzig.
     Das ist doch noch nicht alt.

2
    Nachmittags nach Feierabend sind die Parkplätze am Kreiskrankenhaus in Bredenscheid immer knapp, vor allem wenn man keinen
     Kleinwagen fährt. Ich hatte schon unter Seufzen in mehreren Parkreihen erfolglos Ausschau gehalten, als ich endlich in der
     letzten Reihe eine Lücke entdeckte, die auch für einen Opel Omega breit genug war. Eilig setzte ich den Wagen zwischen die
     Begrenzungslinien und wollte mich gerade eine Sekunde meinem Glücksgefühl darüber hingeben, dass das so problemlos geklappt
     hatte, als mein Fahrzeug durch einen heftigen Stoß erschüttert wurde. Völlig unerwartet. Was war passiert?
    Ich sah mich um und erkannte einen großen silberfarbenen Mercedes ziemlich dicht an meiner rechten Fahrzeugseite. Während
     ich in meine Parklücke hineingefahren war, hatte der Fahrer offensichtlich zeitgleich versucht auszuparken, den Platz neben
     sich als leer gespeichert und dementsprechend weit eingeschlagen. Und war so mit dem vorderen Kotflügel in meine Beifahrerseite
     gekracht.
    Das war nicht meine Schuld. In diesem immerhin beruhigenden Bewusstsein stieg ich aus, um den Schaden zu begutachten und mich
     mit dem Verursacher zu einigen. Ich hatte allerdings nicht damit gerechnet, was das für eine schillernde Erscheinung war.
    Der Mann, der dem riesigen, jetzt ziemlich schräg im Weg stehenden Auto entstieg, trug einen cremefarbenen Anzug und Cowboystiefel,
     hatte langes, graues, wild um den Kopf wallendes Haar und eine dicke Hornbrille mit getönten Gläsern. Vielleicht hatten Letztere
     seine Sehfähigkeit eingeschränkt? Es war in der Tat kein sonniger Tag.
    Statt sich zu entschuldigen, wie ich erwartet hatte, begann er ohne vorhergehende Grußformel damit, mich zu beschimpfen. »Was
     haben Sie sich denn dabei gedacht? Sehen Sie nicht, dass ich da stehe? Haben Sie Ihre Brille beim Seniorentanztee vergessen?«
    Kurzfristig war ich erst mal sprachlos ob dieser Unverschämtheit, aber ich fing mich schnell wieder. »Na hören Sie mal, wenn
     hier eine Brille das Problem ist, dann ja wohl Ihre! Sie haben mich gerammt, als ich schon in der Parklücke stand!«
    »Ja, das glauben Sie!«, behauptete der Kerl. »Sie konnten doch sehen, dass ich den Rückwärtsgang eingelegt hatte, da hätten
     Sie warten müssen, bis ich rausgefahren bin! Ich werde jedenfalls mein Auto keinen Millimeter bewegen, bis die Polizei hier
     war und den Schaden aufgenommen hat. Dann lässt sich ja feststellen, wer die Schuld hat.«
    Für mich war ziemlich eindeutig, wer hier der Unfallverursacher war. Mein Omega stand so gerade wie selten in der Parklücke,
     während der Angeberbenz dieses Kerls fast die gesamte Breite der Fahrspur zwischen den beiden Parkreihen versperrte, die vordere
     Fahrerseite noch verräterisch eindeutig gegen die Seite meines Wagens gedrückt. »Klar, tun Sie das«, sagte ich siegessicher
     und umrundete sein Schlachtschiff, um mir den Schaden an meinem Auto anzusehen. Eine tiefe Schramme mit silbrigen Spuren begann
     an der Beifahrertür und endete dort,wo sich die Autos berührten. »Sehen Sie sich das an! Sie haben mir die ganze Seite verschrammt! Das wird teuer!«
    Der Mann schüttelte abfällig sein silbergraues Haupt. »Vermutlich würde die Reparatur den Zeitwert dieser Gurke übersteigen«,
     sagte er. »Das nennt man dann Totalschaden.«
    Gurke! Totalschaden! Und das über mein Auto, mit dem Stephan und ich damals in Avignon waren. Mit dem wir eigentlich in die
     Toskana   … »Und Ihr Auto? Glauben Sie, das ist jünger?«
    »Das ist Wientotsch,« behauptete der Mann im Brustton der Überzeugung. Sein Akzent hörte sich norddeutsch an, aber Wientotsch?
     Gab es das Wort?
    »Was soll denn das sein?«
    »Das ist ein Oldtimer«, erklärte er herablassend. »Se hen Sie nicht das Kennzeichen? Das H am Ende? Das bekommen nur Fahrzeuge im Originalzustand, die dreißig Jahre und älter sind.
     Deshalb wird das eine aufwändige Reparatur, das kann ich Ihnen versprechen.«
    Ich wäre beeindruckt oder zumindest immer noch verwirrt gewesen, wäre da nicht dieser provokante letzte Satz gewesen, der
     wieder meine berechtigte Wut über den Seniorentanztee aufleben ließ. »Das ist nicht mein Problem.
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