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Umarme mich, aber rühr mich nicht an - Die Körpersprache der Beziehungen. Von Nähe und Distanz

Umarme mich, aber rühr mich nicht an - Die Körpersprache der Beziehungen. Von Nähe und Distanz

Titel: Umarme mich, aber rühr mich nicht an - Die Körpersprache der Beziehungen. Von Nähe und Distanz
Autoren: Samy Molcho
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Verändern wir uns nicht von Natur aus immer wieder, allein schon weil wir älter werden? Unsere Bedürfnisse und unsere Prioritäten wandeln sich. Solange wir in der Routine gefangen sind, ändern wir gar nichts. Mit den Jahren sollten wir noch einmal über uns hinauswachsen. Haben wir das einmal begriffen, raffen wir uns vielleicht eines Tages auf. Nun hören wir unseren Partner: »Was ist denn mit dir los?
So warst du doch nie!« Dann haben wir versäumt, den Partner mitzunehmen. Unser Bedürfnis nach Distanz war zu heftig. Vielleicht haben wir den Partner, der uns so vertraut vorkam, nicht mehr wiedergefunden? Viele Paare haben sich nämlich in den Jahren auseinandergelebt, ohne es überhaupt zu bemerken. Hatte er sie wirklich über dreißig Jahre hinweg »Mausi« genannt? Vielleicht wollte sie längst nicht mehr »Mausi« sein, vielleicht hegte sie längst andere Ideen und andere Interessen, hatte aber aus Angst, er würde sie nicht mehr lieben, wenn sie aufhörte, »Mausi« zu sein, nichts davon verlauten lassen? Wenn sie aber weiter »Mausi« spielt, entfernt sie sich damit unvermeidlich von sich selbst, und die Frage lautet nun: Wer ist die Frau, die dem alten Partner nun nah bleibt? Ist sie nur eine Schauspielerin, die ihre Rolle weiterspielt? Jedenfalls würde sie ihre eigene Entwicklung blockieren.

    Kein schöneres Bild als zwei ältere Menschen, die es sich bewahrt haben, ihre gegenseitige Zuneigung durch Berührung auszudrücken! Dabei bedürfen wir alle, ob jung oder alt, der körperlichen Berührung.
    Wenn beide Partner in einem solchen Fall entdecken, dass sie sich jeweils unausgesprochen nach einer Veränderung sehnen, dann könnte sich eine neue, produktive Gemeinsamkeit entwickeln. Hat einer der beiden allein den Willen aufgebracht sich zu ändern, ist der andere fast gezwungen, mit ihm zu gehen. Kann das gut gehen? Denn sobald sich einer der beiden verändert, leuchtet beim anderen sozusagen eine rote Ampel auf: »Passe ich noch in sein neues Bild? Komme ich noch mit oder
bleibe ich zurück?« Nur wenn sich beide zusammen auf den Weg machen und neue gemeinsame Erlebnisse schaffen, die den Zusammenhalt dynamisch und das heißt lebendig halten, kann es für die Partnerschaft und den Einzelnen ein Fortschritt sein. In jedem anderen Fall fühlt sich der eine vom anderen verlassen. Es gibt keine Nähe mehr. Der seelischen Distanz folgt die körperliche. Die Beziehung ist praktisch tot. Es folgt nun oft der vergebliche Versuch, die verloren gegangene Nähe beim Partner einzufordern, und zwar unter Berufung auf die alten Zeiten, als ob diese ein Gewohnheitsrecht begründet hätten. »Das hast du immer für mich getan! Warum tust du es jetzt nicht mehr für mich?« Ist die Veränderung beispielsweise, dass die Frau wieder berufstätig geworden ist, was sie einmal um der Gemeinschaft willen aufgegeben hatte, wird der Mann sich beklagen: »Früher hast du immer für mich gekocht. Jetzt rennst du in dein Büro!« Jedenfalls werden sich in sehr vielen Fällen, in denen die Nähe zerbrochen ist, die Verbindung aber möglicherweise aus existenziellen oder anderen praktischen Gründen aufrechterhalten wurde, die kleinen Streitfälle vermehren. Zwar schafft auch Streit eine gewisse Nähe, denn zu streiten heißt immerhin noch, den Versuch zu unternehmen, die Bindung zu erhalten, aber über einen längeren Zeitraum ist es zermürbend. Es handelt sich um lauter kleine Hilferufe und es wäre an der Zeit, neue Wege der Gemeinsamkeit zu finden, neue Interessen, die man miteinander teilen könnte.
    Deshalb ist es so wichtig, dass wir nicht aufhören, danach zu fragen, was unserem Partner gefällt, was ich tun kann, um für ihn noch ein ästhetisches Vergnügen zu sein, dass ich ihn noch überraschen kann und neue Möglichkeiten entdecke, die uns beide interessieren und beschäftigen können. Eine langjährige Partnerschaft verlangt permanente Aktivität, die Gemeinsamkeit zu erneuern, um miteinander wach zu bleiben, sich die Neugier zu erhalten und sich die tägliche Routine vom Hals zu halten, so gut es geht.
    Natürlich muss es uns auch ein Leben lang darum gehen, uns selbst zu entdecken, uns selbst auszuprobieren. Auch der Flirt kann nun wieder zu seinem Recht kommen. Ganz prosaisch gesagt, tut es doch manchmal gut, seinen Marktwert zu testen und sich sagen zu können: Ich kann noch Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Ich kann noch Männer/Frauen faszinieren. Vielleicht tut es auch dem eigenen Partner manchmal gut,
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