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Umarme mich, aber rühr mich nicht an - Die Körpersprache der Beziehungen. Von Nähe und Distanz

Umarme mich, aber rühr mich nicht an - Die Körpersprache der Beziehungen. Von Nähe und Distanz

Titel: Umarme mich, aber rühr mich nicht an - Die Körpersprache der Beziehungen. Von Nähe und Distanz
Autoren: Samy Molcho
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aus einem ganz anderen Feld erklären: Wir sind beim Arzt. Er nimmt in Anwesenheit eines Patienten einen Laborbericht zur Hand. Sein Blick signalisiert Unzufriedenheit, er schüttelt den Kopf, blickt dann auf, lächelt den Patienten an und sagt: »Ich bin sehr zufrieden, wir können die Therapie beenden.« Der Patient ist besorgt, er glaubt dem Arzt kein Wort. Was hatte sein unzufriedener Gesichtsausdruck von vorhin zu bedeuten? Aus der Sicht des Arztes aber galt der missbilligende Blick gar nicht dem Patienten, sondern der Laborantin, der er schon mehrfach gesagt hatte, sie möge ihre Berichte in einer anderen Form vorlegen. Der Patient kann davon nichts ahnen und reagiert entsprechend beunruhigt. Körpersprache wird stets hier und jetzt in ihrer Aussage wahrgenommen.
    Die Beispiele solchen Missverstehens sind vielfältig. Es gibt Menschen, für die es Teil ihrer Weltanschauung ist, von sich zu sagen: »Ich bin ein kritischer Mensch!« Häufig frage ich dann nach: »Und ein glücklicher auch?« Manche Menschen tragen gewohnheitsmäßig eine finstere Miene zur Schau, kreuzen die Arme vor der Brust und wenden womöglich auch noch den Kopf von allem Geschehen ab. Welchen Grund diese Haltung auch haben mag, für jemanden, der nah an ihnen vorbeigeht, bietet er alles andere als ein einladendes Bild. Ist er sensibel genug, nimmt er diese Körperhaltung als eine Absage an seine Person und wagt es nicht, Kontakt
zu dem anderen aufzunehmen, obwohl er ihn vielleicht gern etwas gefragt hätte. Dabei hatte der andere womöglich gar nicht vor, sich von dieser speziellen Person abzuwenden, sondern er handelte ganz allgemein ohne gezielte Absicht. Er saß ganz einfach in Gedanken versunken auf seinem Platz.
    Wer sich daran gewöhnt hat, seinen Kopf gerade zu halten, signalisiert unabsichtlich Konfrontationswillen, einfach, weil er, wie viele kleine Jungen, nach dem Motto erzogen wurde: »Ein Mann, ein Wort« - »Steh gerade! Wackle nicht so herum!« Denn dieser Haltung haftet die Vorstellung an, jemandem »die Stirn zu bieten«, sich also auf Konfrontationskurs zu befinden. Wer sich dieser Wirkung nicht bewusst ist, kann leicht für Irritationen sorgen. Es gibt das Beispiel eines Unternehmers, dem die Berater empfohlen haben, für eine bessere Kommunikation mit den Mitarbeitern die Tür seines Büros offen stehen zu lassen, der sich allerdings wundert, dass trotzdem keiner zu ihm hereinzukommen wagt. Solange er aber in seiner anerzogenen Konfrontationshaltung hinter seinem Schreibtisch thront, wird er das Distanzverhalten der Mitarbeiter nicht ändern können. Vielleicht denkt er auch: »Meine Leute haben offenbar keine Probleme!« In Wahrheit beginnen die Probleme bei ihm und dem Signal, das von ihm ausgeht. Dabei hätte es gereicht, wenn er seinen Kopf nur ganz leicht zur Seite geneigt hätte. Schon wäre das Bild von Konfrontation und Kampfbereitschaft verschwunden und hätte einer positiven Aussage Platz gemacht.
    Es gibt Menschen, die im Gespräch die Augen senken, und zwar ausgerechnet am Ende eines Satzes, wenn der Blickkontakt zum Partner am wichtigsten ist. Der gesenkte Blick schwächt die Wirkung eines Arguments, und vielleicht steckt ja auch der Wille dahinter, dem anderen die eigene Meinung nicht aufdrängen zu wollen. Der Eindruck aber, der entsteht, sagt eher aus, dass er um seine Idee nicht kämpfen will oder sich nicht die Zeit nimmt, die nötig ist, damit sich seine Aussage bei den Zuhörern festsetzen kann. Vielleicht will er nur schnell zum nächsten Absatz seines Konzeptes kommen, und sei es auch auf Kosten der emotionalen Wirkung seiner Worte. Es fällt schwer zu unterscheiden, ob sich darin Rücksichtnahme spiegelt oder die Befürchtung, dem anderen wirklich nahezukommen, und zwar zu nah.
    Häufiger begegnet uns der Wunsch nach Nähe in ganz unverhüllter Form. Schon bei der Begrüßung kommt uns der andere sehr nahe (kürzere
Entfernung als eine Armlänge) oder er rückt im Laufe des Gesprächs ständig näher. Dahinter versteckt sich entweder eine übermäßige Neigung zur Dominanz, die erzwingen will, in die intimsten Zonen des Partners einzudringen, ohne dessen Abwehr fürchten zu müssen, oder eine beinahe krankhafte Sehnsucht, zu seinem engsten Kreis zu gehören. Deshalb kann er nicht warten, dass ihm der Zugang freiwillig eröffnet wird. Viele Menschen entwickeln gar kein Gefühl dafür und es überrascht sie, dass sie, statt Nähe zu erreichen, Distanz schaffen. Denn der andere wird sich verschließen
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