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Umarme mich, aber rühr mich nicht an - Die Körpersprache der Beziehungen. Von Nähe und Distanz

Umarme mich, aber rühr mich nicht an - Die Körpersprache der Beziehungen. Von Nähe und Distanz

Titel: Umarme mich, aber rühr mich nicht an - Die Körpersprache der Beziehungen. Von Nähe und Distanz
Autoren: Samy Molcho
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unterschiedliche Einstellung zu jedem Einzelnen. Auf beidem gründet sich die Qualität unserer Beziehung.
    Gehen wir doch einmal zum Anfang aller Dinge zurück: Die ersten beiden Worte der Bibel, also des Alten Testaments, lauten in deutscher Übersetzung: »Am Anfang.« Und wo ein Anfang ist, gibt es ein Ende, nur wo ein Ende vorausgegangen ist, kann es überhaupt einen neuen Anfang geben. Im Hebräischen beginnt der Bibeltext mit dem Buchstaben B (Buchstaben sind im Hebräischen zugleich auch Zahlen, und somit steht der Buchstabe B für die Zahl 2). Theoretisch gesehen könnte der Text auch mit einem Wort beginnen, das ein A als ersten Buchstaben hat. A jedoch bedeutet Eins und Einheit, was vielleicht Gott heißen könnte, der keinen Anfang und kein Ende hat und daher für uns nicht fassbar ist. Wir können ihn nicht sehen, denn er bietet uns keine Unterscheidungsmerkmale. Für uns hat er eine Welt geschaffen, die mit der Zahl 2, das heißt mit einem Dualismus beginnt. Wir brauchen nur genau zu lesen. Was ist das Erste, das er geschaffen hat? Himmel und Erde (»Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde«), also zwei unterschiedliche Dinge. Als Nächstes trennte er das Licht vom Dunkel (biblisch: »von der Finsternis«), danach Wasser vom Wasser und später wieder Land und Meer. Deutlicher lässt sich kaum demonstrieren, wie durch Trennung, d. h. Differenzierung, Wahrnehmung entsteht, und zwar von Urbeginn an. Verfolgen wir diesen Gedanken ein wenig weiter bis zur Erschaffung des Menschen, machen wir eine interessante Entdeckung. Zu Anfang schuf Gott demnach den Menschen, Mann und Frau, als Einheit. Doch konnten sie einander so nicht wahrnehmen. Hier findet sich die einzige Stelle in der Schöpfungsgeschichte, an der Gott sich sagt, dass etwas nicht gut ist, so wie er es schuf. In allen
anderen Fällen sah Gott, »dass es gut war«, was er geschaffen hatte. Hier auf einmal sagt er: »Nein, es ist nicht gut« (biblisch: »Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei.«). Er trifft diese Entscheidung, als er den Menschen allein sieht. Daraufhin versenkt er sein Geschöpf in Schlaf und trennt die bis dahin vereinten Wesen, das weibliche vom männlichen, und setzt es ihm gegenüber, und zwar als einen Kontrast: nicht neben oder hinter ihn, sondern ihm gegenüber. Auf diese Weise, so könnte man sagen, entstand noch während des Schöpfungsprozesses die Sehnsucht nach Nähe und die Notwendigkeit von Distanz. Die Vereinigung von Mann und Frau, das Schönste, was sich ereignen kann, entsteht in den Augenblicken, in denen sie ihr Ego aufgeben und sich miteinander verbinden, sodass es von ihnen heißen kann, wie geschrieben steht: »und sie wurden ein Fleisch.«
    In dem Moment aber, in dem sie wieder zu ihrem eigenen Ich, zu ihrer eigenen Person zurückfinden wollen, müssen sie sich voneinander distanzieren. Nur durch Distanz bewahren wir unsere Identität, unsere Eigenart. Distanzierung findet aber auch in uns selbst statt. Es kommt darauf an, ob wir uns auf einen ganz bestimmten Teil unseres Körpers konzentrieren. Fixiere ich meine Aufmerksamkeit ausschließlich auf einen Körperteil, beispielsweise auf eine Hand, werde ich nach geraumer Zeit feststellen, dass ich meine Beine oder andere Körperteile momentan gar nicht wahrgenommen habe. Konzentriere ich mich ganz auf meine Füße, werde ich bald nichts anderes, nicht meine Hände, nicht meine Augen und auch nicht mein Herz spüren. Lege ich meine Hand auf einen Tisch, kann ich entweder die Härte der Tischplatte wahrnehmen oder die Empfindung meiner Hand spüren. Alle diese Beispiele laufen auf eines hinaus: Wollen wir erfahren, wie die Dinge wirklich sind, müssen wir uns von allem anderen distanzieren. Manchmal ist es notwendig, einen Schritt zurückzutreten, um ein Bild vollständig vor Augen zu haben.
    In der Verschmelzung von Mann und Frau, von Ich und Du, geht die jeweils eigene Identität verloren, aber gemeinsam erschaffen wir etwas neues: ein Wir. Dieses Wir ist eine Einheit, vereint aus Du und Ich, und darin spiegelt sich das kosmische Prinzip wider, in dem sich die getrennten Elemente zu einem neuen vereinigen. Nehmen wir als Beispiel das Wasser, ein Element, entstanden aus den getrennten Elementen Wasserstoff und Sauerstoff, genau gesagt, zwei Teilen Wasserstoff und einem Teil Sauerstoff.
Die beiden einzelnen Elemente lassen sich als Gase, die sie ursprünglich waren, von uns nicht mehr unterscheiden. Sie bilden
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