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Umarme mich, aber rühr mich nicht an - Die Körpersprache der Beziehungen. Von Nähe und Distanz

Umarme mich, aber rühr mich nicht an - Die Körpersprache der Beziehungen. Von Nähe und Distanz

Titel: Umarme mich, aber rühr mich nicht an - Die Körpersprache der Beziehungen. Von Nähe und Distanz
Autoren: Samy Molcho
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Knurren des Magens zuzuhören. Konzentrierten wir uns allein auf dieses physische Geschehen, würden wir irgendwann den Hunger vergessen und den Drang verlieren, nach Nahrung zu suchen. Das Signal »Hunger« aktiviert jedoch immer auch meinen Geist, meinen Blick, mein Nervensystem. Der Impuls, den wir von einem Gefühl empfangen, erweckt nämlich immer auch ein Ziel in unserem Kopf, das es zu erreichen gilt. Ich werde also nach etwas suchen, womit ich meinen Hunger stillen, mein Gefühl befriedigen kann.

Gedanken und Empfindungen
    Gefühle und Gedanken sind aufs Engste miteinander verbunden, da Gedanken auf Prägungen basieren, die auf Erfahrungen beruhen, auf Stimulierungen, die wir durch unsere primären Instinkte und Gefühle erlebt haben. Dass Gedanken in der Folge kombinieren, abstrahieren und virtuelle Kombinationen bilden können, geht stets auf die von uns gemachten Erfahrungen zurück. Ich habe von einem wissenschaftlichen Experiment gehört, in dem versucht wurde, das Gefühlszentrum eines Menschen auszuschalten, und das Ergebnis war, dass auch die Gedanken verschwunden sind. Sie entstehen nämlich in erster Linie durch das Abrufen von Situationen und Bildern und kreieren daraufhin durch Kombination und Fantasie neue Bilder und neue Situationen. Solange unsere Gedanken uns nicht berühren, das heißt, wenn sie nicht mit Gefühlen verbunden sind, bleiben
sie kalt und sozusagen statisch, als ob sie sich außerhalb von uns befänden. Sie bringen uns nicht in Bewegung. Verbinden sich unsere Gedanken dagegen mit assoziativen Gefühlen, mit unseren frühen Erfahrungen, aktivieren sie in uns Aktionen, Stellungnahmen, den Wunsch zu verharren oder, im Gegenteil, uns zu entfernen. Und da unser Denken uns befähigt, Gefühle zu stimulieren und Bilder zu produzieren, können wir unsere Gedanken benutzen, derzeit faktisch unerfüllbare Erwartungen und Wünsche in unserem Gehirn durch Bilder zu befriedigen. Befürchtungen und Ängste, die durch Früherfahrungen stimuliert werden, können durch solche gedanklich produzierten Bilder natürlich auch bedrohlich gesteigert werden, und die Angst, den Wunsch wegzulaufen, Distanz zu gewinnen, potenzieren. Es fällt oft gar nicht leicht zu entscheiden, welche Gefühlsassoziationen uns dazu bringen, einen Menschen auf Anhieb als sympathisch oder unsympathisch, eine Situation als bedrohlich oder vertrauenerweckend zu empfinden. In jedem Fall kann der Austausch zwischen unseren Gedanken und Gefühlen auf der einen Seite und der Realität auf der anderen uns auch in die Irre führen. So verschönert das Gefühl des Verliebtseins die Realität. Überhaupt kann unser Gefühl die Realität färben. Wir können die Welt, wie man sagt, durch eine rosarote Brille sehen, genauso wie wir alles schwarz sehen können. Dann verkrampfen meine Muskeln, ich möchte nur noch verschwinden. Nehme ich jedoch das in diesem Fall negative Gefühl mit, komme ich von mir selbst nicht los und ich gerate in Stress.
    Dieses Pendeln zwischen Realität und Vorstellung verwirrt uns gelegentlich. Menschen, die wir geschätzt haben, weil wir Qualitäten in ihnen gesehen haben, die sie in der Realität gar nicht besitzen, und deren Nähe wir aber deshalb gesucht haben, müssen uns enttäuschen. Wir gehen auf Distanz in dem Gefühl, von ihnen betrogen worden zu sein. Dabei haben wir uns nur selbst getäuscht durch unsere falschen Projektionen. Es kommt allerdings auch vor, dass wir von Menschen angenehm enttäuscht werden. Dazu bedarf es auf unserer Seite einer guten Portion Neugier, um Bedenken und Ängste zu überwinden und Neues zu entdecken. Der Schatten des Berges ist stets viel bedrohlicher als der Berg selbst. Gelingt es uns, unsere Vorbehalte beiseitezuschieben und uns dem Fremden mit Offenheit zu nähern, dann schaffen wir auch Nähe, die diese Fremdheit überwindet.

Auch Sprache definiert Nähe und Distanz
    Genauso wie unser Körper deutlich von Nähe und Distanz im Umgang miteinander spricht, setzen wir als Wesen von Intellekt und Abstraktion auch verbal Signale von Entfernung und Annäherung. Jeder Kulturkreis hat dafür seinen eignen Sprachkodex entwickelt. Die Sprache ritualisiert Formen des sozialen Verhaltens. Sozial gleichgestellte Personen werden im täglichen Miteinander, zum Beispiel im deutschen Sprachraum und genauso im französischen, das vertraute Du (tu) benutzen. Die Anrede »du« schafft Nähe, die Anrede »Sie« (vous) dagegen Distanz. Im Englischen existiert der Unterschied nicht. Hier
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