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Ulysses Moore – Die steinernen Wächter

Ulysses Moore – Die steinernen Wächter

Titel: Ulysses Moore – Die steinernen Wächter
Autoren: Pierdomenico Baccalario
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bewegen.
    Der Junge schaute sich ein letztes Mal um. Er wusste, dass er keine andere Wahl hatte. Er betrat den Gang und ließ die elf steinernen Wächter hinter sich zurück. Als er gegangen war, erloschen die Lichter wie von Zauberhand und die Grotte versank wieder in ihren tiefen dunklen Schlaf.
    Der Gang war höchstens drei Meter hoch und in ein schwaches, dämmriges Licht getaucht. Die Luft war warm und roch intensiv nach Gewürzen und getrockneten Blüten.
    Rick ging sehr vorsichtig, obwohl der Boden eben war und so sauber, als werde er regelmäßig gefegt.
    Überraschend bald stand er vor dem ersten Grab. Es war rechts in die Wand des Ganges eingefügt und mit einer Marmortafel bedeckt. Nur mit Mühe konnte er die verwitterte Inschrift auf dem Marmor entziffern: Xavier Moore.
    Der Urahn.
    Zwei rauchgeschwärzte Nischen trennten den Sarg vom Nachbargrab, das auf die gleiche Weise in die Wand eingefügt war. An die gegenüberliegende Wand gelehnt, betrachtete Rick es eine Weile, bevor er weiterging. Es lagen nie mehr als zwei Gräber beieinander, dazwischen waren immer Nischen. In einigen dieser Nischen standen kleine glänzende Gegenstände oder es lagen Blumen darin, die längst vertrocknet waren. Nach und nach entdeckte Rick auf den Marmortafeln all die Namen, die er im Stammbaum der Moores gelesen hatte. Je weiter er dem Gang folgte, desto mehr näherten sich die Jahreszahlen der heutigen Zeit an.
    Der Junge kam an einem leeren Grab vorbei und erreichte das erste Grab von Vorfahren, deren Namen ihm vertrauter waren.
    Raymond und Fiona Moore
    kamen vom Meer und wählten
    diesen Ort für Haus und Garten
    und diese steinerne Tür.
    Als er den Marmor berührte, kam es Rick vor, als gehe von ihm eine seltsame Kraft aus. Hier also ruhte der Mann, der dies alles begonnen hatte. Der Mann, der vielleicht als Erster die Türen und Schlüssel von Kilmore Cove untersucht hatte. Der Mann, der die Villa Argo erbaut und den waldigen Hang des Hügels in den Park der Schildkröten verwandelt hatte.
    »Danke«, flüsterte Rick.
    Erst jetzt fiel ihm auf, dass auf dem Grab frische Blumen lagen. Er sah geradeaus, in den vor ihm liegenden Gang. Wer war hier hinuntergestiegen? Und wann?
    Rick ging weiter und sein Herz klopfte immer schneller. Nun kam er am Grab von William Moore vorbei, Raymonds Neffen, der die begonnenen Arbeiten vollendet hatte. Danach öffnete sich ein größerer runder Raum, durch den man in einen zweiten Gang und zu einer Treppe gelangte, die nach oben führte.
    Rick wusste sofort, dass er sich unter dem Mausoleum im Turtle Park befand und dass die Treppe ein Ausgang aus der Gruft war. Der andere Gang, der genauso aussah wie der, durch den er gekommen war, musste zur Station des Zuges der ewigen Jugend führen.
    Er betrat ihn und stellte fest, dass sich hier die jüngsten Gräber befanden. Fast im Laufschritt eilte er an ihnen vorbei.
    Je weiter er kam, desto intensiver wurde der Blumenduft. Vor den Ruhestätten der letzten Besitzer der Villa Argo blieb er stehen.
    Penelopes Grab quoll von frischen Blumen über, aber es war leer und nicht mit einer Marmortafel abgedeckt. Zwischen den Blumen lag ein Gemälde ohne Rahmen. Rick brachte es nicht über sich, es zu berühren. Er hatte sofort die Farben wiedererkannt: Es waren die gleichen zarten Aquarelltöne wie auf den Bildern im Dachbodenatelier der Villa Argo.
    Ulysses’ Grab hingegen war vollkommen leer.
    Ich wusste es, dachte Rick. Ihm wurde so schwindelig, dass er sich an die Wand lehnen musste.
    Zwei leere Gräber.
    Er dachte an das zurück, was ihm Pater Phoenix gesagt hatte, an Fred Halbwachs Worte und an die der vielen anderen.
    Eng an die Mauer geschmiegt, kehrte er um. Noch immer konnte er den Blick nicht von Penelopes Grab lösen.
    Jetzt erst fiel ihm auf, dass auf den beiden Gräbern daneben je eine einfache Margerite lag.
    Er las die Inschriften:
    Annabelle Moore
    1929—1947
    Sie verlor ihr Leben, als sie Leben schenkte.
    John Joyce, verh. Moore
    1921—1996
    Der in Venedig lebte und
    auf anderen Wegen aus Venedig zurückkehrte.
    »John Joyce Moore …«, murmelte Rick, während ein weiteres Teil des großen Puzzles seinen Platz fand. Er hatte soeben entdeckt, wer an Penelopes Stelle nach Venedig gegangen war. Sein Vater. Ulysses Moores Vater.
    Rick hielt es nicht länger aus. Er rannte los und nahm auf der Treppe immer zwei Stufen auf einmal. Endlich hatte er das Mausoleum im Turtle Park erreicht und konnte durch dessen durchbrochenes Dach den
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