Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ulysses Moore – Die steinernen Wächter

Ulysses Moore – Die steinernen Wächter

Titel: Ulysses Moore – Die steinernen Wächter
Autoren: Pierdomenico Baccalario
Vom Netzwerk:
die
Metis
erreichte den anderen Steg.
    Manfred!«, schrie Oblivia. »Jetzt spring endlich, du dämlicher Versager! Spring!«
    »Meer, Wasser, Wind, Sturm.« Wie Blitze schossen diese vier Wörter durch Manfreds Gehirn.
    Mit weniger als einem Meter Abstand schoss die
Metis
an ihm vorbei. Er sah Oblivia, die auf der Brücke irgendetwas schrie, das er nicht hören konnte. Er sah dieses grässliche Mädchen, das erst auf der Brücke stand und dann hinfiel, und diesen abscheulichen Jungen, der das Steuerrad fest gepackt hielt.
    Er überlegte rasch und in Stichwörtern. Altes Schiff. Junge. Klippen. Schiffbruch.
    Dann sah er Oblivias wütenden Blick.
    Jetzt oder nie, dachte er und sprang.
    Vom Licht geblendet, konnte Rick zunächst gar nichts erkennen. Er schloss die Augen, legte die Hände darüber und schaute durch die gespreizten Finger.
    Der Anblick war so überraschend, dass er sich vor Schreck erst einmal auf den Boden setzte.
    Er befand sich zu Füßen eines Drachens aus Stein, der mindestens fünf Meter hoch über ihm aufragte. Es war ein schlanker Drache ohne Flügel mit weit aufgesperrtem Maul und Stacheln, die so lang und spitz waren, dass sie zu zittern schienen. Er stand aufrecht mit nach vorne gestreckten Vorderbeinen, aber nicht so, als wolle er angreifen, sondern eher, als wolle er warnen. Er war ein Wächter, ein Hüter von Schätzen.
    Als sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten und er sich vergewissert hatte, dass der riesige Drache wirklich nur aus Stein war, merkte Rick, dass das Fabeltier nicht der einzige Wächter war. Hinter ihm spannte sich eine schmale Brücke über eine tiefe Felsenschlucht. Und zu beiden Seiten der Brücke standen weitere fantastische Skulpturen. Sie wurden von der gleichen Art von Lampen beleuchtet, die auch die steile Treppe in der Höhle gesäumt hatten und die ein schwaches, lebendig flackerndes Licht spendeten.
    Rick stand auf, um sich die Figuren genauer anschauen zu können. Er war noch ziemlich durcheinander. Gegenüber dem Drachen war ein Wal mit erhobener Schwanzflosse. Dann kamen ein Affe und ein Reh.
    »Danach ein Esel«, sagte Rick leise vor sich hin und musste grinsen, als er die anderen Statuen erkannte. »Die Katze, der Dachs ... das Pferd.«
    Ein riesiger, aufmerksam umherblickender Hase. Ein Löwe in der eleganten Haltung einer Sphinx. Ein Mammut mit langen gebogenen Stoßzähnen.
    Es waren die Tiere der elf Schlüssel.
    Rick ging die paar Schritte zur Brüstung und schaute hinunter. Unter ihm verloren sich die Felswände in der Finsternis. Er konnte den Boden der Schlucht nicht erkennen.
    Rick lief weiter auf der zur Mitte hin ansteigenden Brücke. Er neigte vor jeder Statue leicht den Kopf und es kam ihm vor, als grüßten die steinernen Wächter ihn zurück. Er fühlte sich von unsichtbaren Wesen umgeben, als ob dunkle Augen ihn aufmerksam ansähen.
    Doch er hatte keine Angst. Dies war kein furchterregender Ort. Sein Herz klopfte laut in seiner Brust. Das Klopfen klang wie das Schlagen einer Trommel, die den Ruderern den Takt vorgibt. Es war kein ängstlicher und aufgeregter, sondern ein starker und mutiger Rhythmus.
    Als er das andere Ende der Brücke erreicht hatte, stand Rick vor einem großen Gittertor. Es war in einen Steinbogen eingefügt, der die Inschrift
Curiositas anima mundi
trug, das Motto der Moores.
    Dem Jungen war augenblicklich klar, wo er sich befand. Denn auf der anderen Seite des Tores begann ein schmaler Gang, dessen Wände mit hellen Steinplatten verkleidet waren.
    Das Mausoleum, dachte Rick. Der Ort, an dem alle beigesetzt sind.
    Auf der Schwelle des Familiengrabs der Moores begriff der Junge aus Kilmore Cove auch endlich den Sinn des Reims. ›Zwei von vieren führen in den Tod‹ bedeutete gar nicht das, was sie gedacht hatten. Es hieß nur, dass zwei der Gänge, die in der runden Kammer begannen, zu den Gräbern führten.
    Rick versuchte sich das gesamte Höhlensystem der Klippen vorzustellen: eine unterirdische Welt, über die man von Salton Cliff aus Turtle Park und wer weiß noch wie viele andere Orte erreichen konnte.
    »Jetzt verstehe ich, warum niemand den ehemaligen Besitzer gesehen hat, Papa«, murmelte Rick. »Er war immer
unter
der Erde unterwegs. Er bewegte sich in einer Höhle jenseits der Zeit, die sich seine Vorfahren als letzte Ruhestätte ausgewählt hatten.«
    Rick legte die Hand auf das kalte Metall des Gittertores und drückte es auf. Es quietschte in den Angeln und ließ sich dennoch ganz leicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher