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Überwachtes Netz

Überwachtes Netz

Titel: Überwachtes Netz
Autoren: Andre Meister Markus Beckedahl
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mögliche Ablehnung eines Asylantrages von Edward Snowden in Deutschland damit, dass die USA ein Rechtsstaat sind. Die Behandlung von Chelsea Manning, inklusive Folter und drohender Todesstrafe für das Aufdecken von Kriegsverbrechen, konterkarieren dieses Argument. Edward Snowden hätte momentan keine Chance auf einen fairen Prozess in den USA und würde im Gefängnis ruhig gestellt. Aber auch wenn es keinen Asylantrag gibt, hätte die Bundesregierung die Chance, Edward Snowden in ein Zeugenschutzprogramm zu stecken. Er ist der wichtigste Zeuge bei der Aufklärung dieses Überwachungsskandals.
    Es ist unvorstellbar, dass ein chinesischer Geheimdienstler mit Informationen über die Hacking-Programme der Volksrepublik oder ein iranischer Wissenschaftler mit Informationen über das Atomprogramm der Islamischen Republik von den USA in sein Heimatland ausgeliefert würde. Die Ablehnung der Bundesregierung beweist damit bestenfalls ihre Doppelmoral, aber noch wahrscheinlich ihr Einverständnis mit dem umfangreichsten Überwachungsprogramm der Menschheitsgeschichte. Die Frage nach Snowdens Asylantrag ist eine politische Frage, die eine politische Antwort verlangt. Und die kann nur lauten: Asyl für Snowden!

Leben im Überwachungsstaat
    Oder warum wir das dunkle Monster in unserer Mitte
nicht länger ignorieren dürfen
    Kai Biermann
    Ich komme aus einem Land, das heute als der Inbegriff des Überwachungsstaates gilt. Für die Überwacher hatten wir damals viele Namen. Sie wurden »Horch und Guck« genannt, oder »die Firma«, meistens aber mit der Abkürzung bezeichnet, die bis heute jedem ein Begriff ist: »Stasi«. Das Ministerium für Staatssicherheit hatte so viele Angestellte, dass pro 180 Einwohner ein hauptamtlicher Mitarbeiter existierte. In keinem Land davor und in keinem danach kamen so viele Bewacher auf so wenige Überwachte, es war der größte Geheimdienstapparat der Weltgeschichte.
    Die Stasi gehörte zum Alltag in der DDR. Niemand redete offen über sie, aber jeder wusste von ihr und jeder fürchtete sie. Die Warnung meiner Eltern, »das darfst du aber niemandem erzählen«, war in meiner Kindheit ein ständiger Begleiter. Meine Eltern hatten Angst, also hatte ich sie auch.
    Trotzdem lebten alle irgendwie vor sich hin und versuchten, dieses Monstrum zu ignorieren, so gut es eben ging. Möglich war das durchaus, kaum jemand kannte Opfer des Terrors persönlich. Entweder waren die in den Westen abgeschoben worden, oder sie hielten wohlweislich die Klappe, um nicht wieder abgeholt zu werden. Das Dunkle ließ sich ganz gut verdrängen.
    Selbst im Herbst 1989 ging das noch. Dabei wurden bei den Montagsdemos nicht mehr nur Einzelne abgeholt. Zu Hunderten verhaftete die Stasi nun Demonstranten, jede Woche, wahllos. Und die, die anschließend wieder freikamen, wollten nicht mehr schweigen, sie fertigten Gedächtnisprotokolle über ihre Erlebnisse, sie redeten. Plötzlich bekam die Stasi ein hässliches Gesicht, plötzlich war sie keine vage Ahnung mehr, kein Gerücht, keine Verschwörungstheorie – sie wurde real, ihre Verhöre, ihre Drohungen, die Bedrohung, die von ihr ausging, wurde auf einmal jenen Menschen bewusst, die sie sehen wollten.
    Noch immer aber konnte, wer wollte, das Monster beiseite schieben. Schließlich traf es nur die, die sich gegen den Staat auflehnten, die demonstrierten, Flugblätter druckten. Wer nicht aufmuckte, der hatte doch nichts zu befürchten, oder? Wie die Punkband Feeling B so richtig sang: »Wir woll’n immer artig sein, denn nur so hat man uns gerne.«
    Der wahre Schrecken folgte erst später. Im Dezember 1991 trat das Stasi-Unterlagen-Gesetz in Kraft, die Opfer konnten nun nachlesen, was die Täter über sie gesammelt hatten. Meine Eltern beantragten sofort Einsicht in ihre Stasi-Akten. Es war ein Schock. In der kalten Sprache von Bürokraten wurde dort über Menschen geschrieben, die bereits verurteilt waren, obwohl noch nicht einmal eine Anklage existierte, geschweige denn irgendwelche Beweise.
    Es war ein Schock, den wohl alle erlebten, die ihre Akten lasen. Denn plötzlich zeigte sich, dass jeder ein Staatsfeind gewesen sein konnte, auch wenn er selbst geglaubt hatte, dass er immer artig war. Ein Gerücht genügte, eine Bemerkung eines neidischen Nachbarn, eine Verdächtigung eines Bekannten – für die Stasi war jeder ein Feind. Und alles war ihr Recht, um mehr über die vielen Feinde zu erfahren, die sie überall sah.
    In den Stasi-Akten standen Freunde und Kollegen als
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