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Überm Rauschen: Roman (German Edition)

Überm Rauschen: Roman (German Edition)

Titel: Überm Rauschen: Roman (German Edition)
Autoren: Norbert Scheuer
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irgendetwas geändert hat.
    Nachdem wir gefrühstückt hatten, gingen wir zum Fluss. Überm Wasser stieg Nebel auf. An Erlenzweigen hing glitzernder Tau. Graureiher hockten in den Baumspitzen. Vater lehrte uns vieles, so sagte er uns, wir müssten am Ufer leise auftreten, die Druckwellen unserer Schritte würden von der Uferböschung über das Wasser bis zu den Fischen gelangen, Fische hätten ein Organ, mit dem sie winzigste Erschütterungen wahrnehmen könnten, außerdem müssten wir auf unsere Schatten achten, aber wenn wir aus der Deckung eines Gebüsches angelten, würde der Fisch die Angelrute für einen Zweig halten. Wir stakten am Bahndamm entlang, mieden knirschenden Wegschotter, querten die Einmündungen kleiner Bäche, gingen an der Außenseite von Flusskurven, an Flinsbänken und Gratstrecken entlang, wo das Wasser schneller fließt, an Stellen mit versunkenen Bäumen, einem Gebiet mit Kieseln und steil abfallenden Uferregionen.
    «Man nähert sich dem Fangplatz immer von stromauf, um von Fischen nicht zu früh wahrgenommen zu werden, die stehen immer mit dem Kopf gegen die Strömung, und man bleibt möglichst weit vom Uferrand weg. Je höher die Sonne steht, umso weniger nachteilig macht sich der Schatten bemerkbar, der Fisch sieht direkt in die Sonne und so nur verschwommen», erklärte Vater flüsternd.
    Als wir zu unserer Angelstelle kamen, redeten wir nicht mehr. Der Nebel schwebte noch dicht über dem Fluss, darunter kam ruhig fließendes Wasser zum Vorschein, die Fische stiegen, und es bildeten sich Ringe, unendlich viele Ringe. Vater warf die Schnur mit der künstlichen Fliege vorsichtig ins Wasser, ließ sie ganz natürlich mit der Strömung auf das Versteck des Fisches zutreiben, oder er fächerte die Stelle mit Würfen ab, setzte Wurf neben Wurf. Wir sollten es auch versuchen, ich stand unbeholfen zwischen Vater und Hermann im Wasser. Vater brachte uns die Grundkenntnisse des Fliegenfischens bei, den zielgenauen Wurf, das langsame Abtreibenlassen des Köders, der eine Mücke, eine Larve oder den Bachflohkrebs imitiert.
    Vater wollte uns alles über das Fischen beibringen. Für ihn war Fischen das Leben, in dem er allerdings immer nur verlor. Fischen sei List, Geduld, geheimnisvolle Grausamkeit, Schönheit und Glück. Er erwähnte in diesem Zusammenhang oft seinen amerikanischen Freund Paul Maclean, dessen Religiosität er allerdings nicht teilen könne. Vater war Atheist, er vertrat die Ansicht, die Existenz Gottes sei keine Bedingung für die Schönheit der Welt, womit er in erster Linie die Schönheit unseres Flusses meinte. Mich interessierte das damals nicht – auch nicht die Literatur von Berens und Renell und anderen Fliegenfischern, deren Bücher er uns zu lesen empfahl.
    «Fischen ist die Beschäftigung mit winzigen, fast unsichtbaren Dingen. Dinge, die aus einer anderen Welt stammen und die man letztlich nur erahnen kann», dozierte Vater. Ich verstand nicht, was er uns beibringen wollte, vielleicht wollte ich es damals auch nicht verstehen oder wollte es, von dem Moment an, als ich erfahren hatte, dass er nicht mein leiblicher Vater war, nicht mehr von ihm lernen. Vater war es egal, dass wir nicht seine leiblichen Söhne waren. Er erklärte uns, auch die Forelle wisse nicht, wer ihr Vater oder ihre Mutter sei. Als Jungfisch müsse sie sogar darauf achten, nicht von ihren Eltern gefressen zu werden. Vielleicht stellte ich mich einfach nur ungeschickt an, ich weiß es nicht mehr. Meine Schnur verhedderte sich ziemlich oft im Ufergestrüpp, ich verlor wertvolle Köder, hatte einfach nicht die Geduld. Meine Kleidung wurde feucht, und ich fror.
    Als der Nebel sich auflöste und die Sonne auf dem Wasser schimmerte, sahen wir unzählige Ringe steigender Forellen. Die aufgehende Sonne glitzerte auf dem Wasser, in den Uferbäumen hingen Spinnennetze mit Tautropfen. Vater und Hermann wateten vorsichtig durch das Wasser, sodass möglichst wenig Schlamm und Schlick aufgewirbelt wurde. Sie standen in der Uferregion, warfen ihre Köder schräg zur Flussmitte aus, angelten stromabwärts, versuchten, die unteren Fische zuerst anzuwerfen. Hermann machte alles genauso wie Vater, er war damals schon ein guter Angler. Sie zogen die Köder mit kleinen Zupfern zurück. Über dem Wasser tanzte ein Glast von Mücken und Blütenstaub. Die Nymphen, deren Zeit des Ausschlüpfens gekommen war, stiegen langsam vom Grund zur Wasseroberfläche hoch, trieben einige Meter flussabwärts, bis ihre Hüllen platzten,
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