Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Überm Rauschen: Roman (German Edition)

Überm Rauschen: Roman (German Edition)

Titel: Überm Rauschen: Roman (German Edition)
Autoren: Norbert Scheuer
Vom Netzwerk:
Wohnwagen stehen, die das ganze Jahr über hier ihren Standplatz haben, an einem der Erlenstämme direkt am Ufer ist ein Punktrichter-Hochstuhl angelehnt, der irgendwie vom Tennisplatz hierhergebracht worden ist. An der Campingschenke vorbei zum Schwimmbad führt ein Weg. Dort sind wir im Sommer als Jugendliche nachts heimlich durch ein Loch im Zaun gekrochen, auf den Zehnmeter-Sprungturm geklettert, haben oben auf der Plattform gesessen, uns unterhalten, geraucht, und manchmal sind wir durch die Dunkelheit, uns an den Händen haltend, ins Wasser hinabgesprungen.

 
     
     

    Die Äsche (Thymallus thymallus) ist listig und scheu. Um sie zu fangen, braucht es sehr viel Täuschungskunst und Geschick. Sie hat einen spindelförmigen, silbrigweißen Körper mit messinggelben Längsstreifen, schwarzen Flecken und eine fahnenartig ausgezogene Rückenflosse mit purpurnen Flecken. Ihr Kopf ist spitz, mit einer kleinen, etwas schrägen Mundspalte, als würde sie immerzu grinsen. Ihr Fleisch riecht nach Thymian. Sie liebt Flüsse mit klarem, kühlem Wasser und sandigem, kiesigem Grund.

26
    Gestern Nachmittag ging ich immer wieder zu Hermann nach oben, stand vor seiner Tür, versuchte mit ihm zu reden, fragte nach der Holländerin, bat ihn, mir von ihr zu erzählen, sagte, dass ich sie gern kennengelernt hätte. Hermann antwortete nicht. Ich wurde wütend und trat gegen seine Tür, setzte mich schließlich resigniert auf den Flurboden. Irgendwann schlief ich ein. Ich wachte auf, als Alma den Motorradfahrern ihre Zimmer zeigte.
    Ich kam zur Küche zurück und fragte Reese, die gerade aufgewacht war, nach der Holländerin. Reese zögerte, von ihr zu sprechen. Erst als Alma in der Gaststätte verschwunden war, begann Reese zu reden. «Ich weiß noch, wie die’s erste Mal in die Gaststätte kam, barfuß … tse, die lief immer barfuß, war aber ganz nett, anders als die meisten Kasköppe, die herkommen. Ich weiß nich, was die ausgerechnet an unserem Hermann gefunden hat.» Reese wusste, dass sie in einem Wohnwagen auf dem Campingplatz gewohnt hat. Das Frühjahrshochwasser habe ihn später überschwemmt und ein Stück den Fluss hinuntergetrieben. Hermann ging es nach seinem Unfall im Zementwerk wieder besser, er schöpfte neuen Lebensmut.
    Als Alma die Küche betrat, verstummte Reese. Ich dachte daran, was Hermann auf der letzten Kassette von dieser Frau erzählt hatte. Er nannte sie Magda, redete davon, wie sie zum ersten Mal in die Gaststätte gekommen war. Zunächst sei er zu schüchtern gewesen, sie anzusprechen, habe sich später aber doch getraut, es sei ganz einfach gewesen, sie hätten sich gleich verstanden. Sie trug eine Sommerhose, ein rotes T-Shirt, am Hals hatte sie eine Narbe von einer Schilddrüsenoperation. Sie war Lehrerin und daher zuerst nur in den Schulferien gekommen, später auch an Wochenenden. Im Sommer saß sie meist auf der Terrasse, hatte ihre Füße auf einen Stuhl gelegt, ihr T- Shirt ein wenig hochgerollt, sodass man ihren Bauchnabel sehen konnte, den Kopf in den Nacken gelegt, die Augen geschlossen. «Sie hat gesagt, dass sie so besser dem Rauschen zuhören könne», erzählte Hermann auf der Kassette. «Sie hat nur gelauscht, wie du damals auch, Leo. Ich habe nachts mit ihr zusammen im Zimmer oder auf der Wiese am Fluss mit ausgebreiteten Armen unterm Sternenhimmel gelegen.» Hermann klang glücklich, er zeigte Magda den Fuchsbau auf der anderen Seite des Eisenbahntunnels, wo wir als Jungen oft gespielt hatten, ging mit ihr zu den Eishöhlen, natürlich auch zum Fluss und brachte ihr bei, wie man angelt. Er erzählte auf der Kassette, dass sie sich Mühe gebe, aber ziemlich ungeschickt sei – wie ich damals. Dabei lachte er und schilderte, wie sie beim Angeln ins Wasser gefallen sei, ihre Wathose sich mit Wasser gefüllt habe und so schwer geworden sei, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte. «Sie gibt sich so viel Mühe und interessiert sich für alles», begeisterte er sich. Dann sagte er, dass er nach unten in die Gaststätte müsse. Erst Monate später, im Winter, erzählte er auf derselben Kassette weiter, dass es eisig kalt und der Fluss bis zum Rauschen zugefroren sei, er redete von hohen Heizkosten, davon, dass es kaum Gäste gebe, nur ein paar durchreisende Vertreter. Hermann arbeitete seit seinem Unfall nicht mehr im Zementwerk, es kam kaum Geld rein. Er sagte, dass Magda bald komme, sie wollten zum Eisfischen und den großen Fisch fangen. Ich sehe ihn lächelnd vor mir, seine weißen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher