Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Überm Rauschen: Roman (German Edition)

Überm Rauschen: Roman (German Edition)

Titel: Überm Rauschen: Roman (German Edition)
Autoren: Norbert Scheuer
Vom Netzwerk:
abgeführt und eingesperrt, als wäre er ein Verbrecher, eine Gefahr für die Leute. Aber ich glaube nicht, dass er für irgendjemanden eine Gefahr ist, außer vielleicht für sich selbst. Alma sagte, dass Hermann an jenem Tag, an dem er mit der Holländerin zum Eisfischen gegangen war, spät in der Nacht verwirrt nach Hause gekommen war, Fieber bekommen hatte und vor Erschöpfung zusammengebrochen war. «Das Fieber war so hoch, ich habe die ganze Nacht an seiner Seite gewacht und Wadenwickel gemacht, ich habe mich nur um ihn gekümmert, nicht um sein wirres Gerede», verteidigte sie sich.
    Ich gehe über einen matschigen Kuhpfad zum Ufer, werde es weiter versuchen, werde nicht aufgeben, wate flussaufwärts gegen eine leichte Strömung, der Fluss wird mit jedem Schritt tiefer und ist bald zu beiden Seiten von hohen Erlen beschattet. Ich erinnere mich an ein Floß, das wir hier im Gestrüpp versteckt hatten. Hermann lag oft stundenlang bäuchlings auf dem Floß, blickte mit seiner Taucherbrille ins Wasser, sagte einmal, er sei ein Teil vom Fluss, alles, was je geschehen sei und geschehen werde, fließe durch ihn hindurch.
    Was Hermann getan hat, scheint mir nicht mehr so schrecklich, vielleicht musste es so kommen, wenn er doch keinen anderen Ausweg mehr wusste.
     
    Gestern am späten Nachmittag waren nur wenige Gäste in der Wirtschaft, die Schwestern wollten endlich nach Hause, sagten, dass sie nicht mehr länger warten könnten, dass sie den ganzen Tag sinnlos vertan hätten, fragten, wann denn Sartorius endlich käme.
    Der Sechsuhrzug fuhr in den Bahnhof ein. Reese blickte vom Stricken auf. In der letzten Klasse vorm Abitur war ich oft mit dem Sechsuhrzug nach Hause gekommen. Der Zug war immer voller Menschen, die von der Arbeit kamen, ich erinnere mich, dass ich damals auf keinen Fall so wie diese Spießer hatte werden wollen. Ich wollte immer etwas Besonderes sein und war doch genauso geworden. Ich hätte genauso gut hierbleiben können, dachte ich, als ich am Küchenfenster stand und sah, wie die Pendler zum Parkplatz oder zur Haltestelle liefen, in ihre Autos oder in den wartenden Linienbus stiegen, der sie zu den Höhendörfern brachte. Die Arbeiter auf der Brücke räumten ihre Werkzeuge zusammen, trugen Bohrmaschinen und anderes Gerät zum Pritschenwagen. Einige sicherten den Kollegen unter der Brücke am Strick und zogen ihn nun hinauf, plötzlich ließen sie ihn, aus einer Laune heraus, bis zum Wasser hinunter und amüsierten sich, wie er mit den Schuhspitzen das Wasser berührte, zappelte und schrie. Die letzten Märktler schickten sich an, unsere Gaststätte zu verlassen, eilten zum Bahnhof, um noch den Zug zu erreichen. Renate sagte, dass sie jetzt nicht mehr warten könne, dass sie nach Hause müsse, redete wieder von ihrer wichtigen Arbeit im Büro.
    Der Krankenwagen und Sartorius hatten nun vermutlich gerade die Wallenthalerhöhe erreicht, fädelten sich dort in den Feierabendverkehr ein, der in einem kontinuierlichen Strom von der Kreisstraße auf die Landstraße floss, kamen durch das Industriegebiet, an Computerläden, Getränkeshops und Supermärkten vorbei. Während sie über die Hüttenstraße am Bahndamm entlangfuhren, flackerte die Straßenbeleuchtung auf, und Sartorius wählte unsere Nummer. Knuppeglas und Salm hatten die Gaststätte betreten. Das Telefon klingelte. Alma bediente die beiden. Wir hörten, wie Knuppeglas sagte, dass sie noch eine Fuhre machen müssten. «Eigentlich ist’s egal, die Viecher verrecken sowieso», schimpfte Salm. Claudia sprach nun mit Sartorius am Telefon. Die jüngere Schwester stand auf, um die Schiebetür zu schließen. Als sie sich wieder zu mir an den Tisch setzte, fragte sie, was ich davon hielte, wenn wir die Gaststätte verkauften.
    Dann stand Mutter plötzlich in der Küche. Sie hatte sich, Gott weiß, wie, aus dem Stift hierherverirrt, ihre Haare und ihre Kleidung waren klatschnass, sie trug Pantoffeln und stand zitternd neben der Spüle. Sartorius fragte nach unserem Bruder, und als Claudia keine Antwort gab, sagte er, dass er in wenigen Minuten mit dem Krankenwagen eintreffen werde. Mutter war durch den Flur zum Treppenhaus gewankt. Meine Schwestern liefen ihr nach. Renate nahm Mutter in den Arm, drückte sie fest an sich und rubbelte mit beiden Händen über ihren Rücken, um sie zu wärmen. Aber Mutter wollte zu Hermann hinauf.
    Als wir alle vor seiner Tür standen, betraten unten die Brückenarbeiter die Gaststätte. Niemand war da, um sie zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher