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Überm Rauschen: Roman (German Edition)

Überm Rauschen: Roman (German Edition)

Titel: Überm Rauschen: Roman (German Edition)
Autoren: Norbert Scheuer
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wir’s früher immer gemacht haben … aber dann kam der Fisch wieder, Ichthys. Ich glaubte, dass er um mich herumschwamm, immer engere Kreise zog, dass er mich irgendwann verschlingen würde.
    Als die Probe zum Labor gebracht wurde, fanden sie in der Probe die Köderfliege von Paul Maclean, die Vater mir gegeben hatte und die ich seither in einem kleinen durchsichtigen Schächtelchen aufbewahrte und immer bei mir trug. Sie muss mir aus der Tasche gefallen sein, als ich ins Silo stürzte. Stell dir vor, Leo, sie haben mich tatsächlich durch die Fliege von Paul Maclean aus dem Staub gerettet.»

 
     
     

    Der große Fisch (Ichthys) ist sehr alt, größer als ein ausgewachsener Mann. Seine perlmutterfarbenen Schuppen sind mit Flechten und Moos bewachsen. Auf diesen Schuppen, so würde Vater in seiner Chronik schreiben, sind alle Fische dieser Welt abgebildet, wie in einem Spiegel. Der große Fisch hat einen klobigen Kopf mit großen schwarzen, traurigen Augen. Vater schrieb, dass er ihn am Wehr gesehen habe, dort, wo sich auch die Zuflüsse der unterirdischen gefluteten Bergwerksstollen befinden. Er schwamm dicht unter dem Wasser, glitt in der Strömung zur Seite, machte dann in der Mitte des Wehrs Flossenschläge von vollkommener Gelassenheit, wie ein großer, dahingleitender Vogel hoch oben in der Luft.

25
    Ich stehe in den Stromschnellen am Campingplatz, dahinter ist ein Rückstau, an den sich ruhiges Wasser anschließt, dorthin werfe ich meinen Köder, um Äschen zu fangen. Die Äsche bevorzugt den Auslauf schneller Strömungen, sie ist ein sensibler Fisch, der meist auf dem Grund steht und schwer zu angeln ist. Sie nimmt den Köder, wenn er in einem seitlich eng begrenzten Sektor auf sie zutreibt, sie steigt nicht nach rechts oder links, sondern nur nach vorne, oben und hinten. Die Länge dieses Sektors ist abhängig von der Tiefe, in der sie steht, denn sie steht nicht dort, wo sie den Köder nimmt, sondern lässt sich während des Aufstiegs rückwärts abtreiben und schwimmt dann wieder auf ihren Standplatz zurück. Wenn das Vorfach der Fliege ungünstig auf dem Wasser liegt, muss man damit rechnen, dass die Äsche die Fliege noch im letzten Moment verweigert. Gerade wegen ihrer Vorsicht sollte man die Äsche nur querüber oder stromab befischen, auf diese Weise lässt sich die Fliege am besten servieren, da sie der Vorfachspitze vorausgetrieben wird. Ich versuche, all dies zu beachten. Ich wundere mich, an wie viel ich mich von dem, was Vater und Hermann mir beizubringen versuchten, jetzt plötzlich erinnere, als könnte ich die Erinnerung aus dem unruhig glitzernden Wasser der Stromschnellen herausfischen.
    Ich merke auch, wie sehr ich es genieße, allein zu sein. Hermann sagte immer, dass alle guten Angler allein fischen, er meinte damit wohl, dass das Alleinsein eigentlich einen guten Angler ausmache, nicht die Tatsache, dass er größere und bessere Fische fange. Kein Mensch könne lange allein sein, aber es gebe Dinge und Umstände, die es einem ermöglichten, eine gewisse Zeit allein zu sein, einer dieser Umstände seien der Fluss und Fische. Daher war Vater im Gegensatz zu Hermann kein wirklich guter Angler, denn obwohl er sehr viel über das Fischen wusste, konnte er doch nicht wirklich allein sein und verzweifelte schließlich auch daran. Für Hermann war das Alleinsein nie ein Problem gewesen.
    Ich werfe den Köder so, dass er über das Wasser fegt, ohne es zu berühren, reiße die Schnur in einem großen Oval überm Kopf zurück, lasse sie flach flussabwärts ausrollen, wobei der Köder wieder und wieder übers Wasser fegt, halte die Rute hoch, neige sie, folge mit ihrer Spitze dem Köder, bis die Rute waagerecht zeigt und ich sie ausgestreckt halte, wo sie mit meinem Herzschlag zittert, alles ist bedächtig, gespannt, wie ein Reiher, der im seichten Uferwasser lauert. Dann biegt sich die Rutenspitze, ich weiß, dass eine Äsche angebissen hat, gebe eilig Schnur nach, folge der Äsche einige Meter, glaube, sie zu haben, glaube fest, sie zu haben, doch dann dreht sie sich plötzlich, springt, fast einen Meter schießt ihr glitzernder Körper aus dem Wasser empor, wälzt sich dabei in der Luft und taucht wieder ins Wasser zurück, das Vorfach gerissen, ich habe wieder verloren, bin geschlagen und weiß nicht einmal, was ich falsch gemacht habe. Es gibt Tage, an denen man kein Glück hat, an denen man einfach immer alles falsch macht.
    Ich wate enttäuscht ans Ufer, laufe über eine Wiese, auf der
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