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Ueberfall auf Skytown

Ueberfall auf Skytown

Titel: Ueberfall auf Skytown
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einmal im Schritt, als sie den U-Bahn-Schacht erreichte und über die mit Trümmern und Schutt übersäte Treppe in die Tiefe zu steigen begann. Sie wußte zwar, daß es völliger Unsinn war, doch ein jeder Logik unzugänglicher Teil ihres Denkens beharrte nachdrücklich darauf, daß sie es dem toten Mann in der Ruine schuldig sei, das Mädchen zu retten, falls es noch lebte. Dabei wäre es klüger gewesen, die wenigen Minuten zu warten und sich dann zusammen mit einem Dutzend bis an die Zähne bewaffneter Marines auf die Suche nach Melissa zu machen – aber was bedeuteten schon Logik und Sicherheit, wenn das Leben eines Kindes auf dem Spiel stand? Charity wußte, daß sie den Tod des Mannes überwinden würde; doch mit der Möglichkeit, das Mädchen zu finden und festzustellen, daß es gestorben war, nur weil sie die entscheidende Minute zu lange gewartet hatte – damit wäre sie mit Sicherheit nicht fertig geworden. Charity erreichte das untere Ende der Treppe, blieb stehen und schaute sich aufmerksam um. Das Sonnenlicht reichte gerade aus, um die ersten fünf oder sechs Meter des eingestürzten U-Bahn-Tunnels zu erhellen. Alles, was dahinter lag, war in vollkommener Dunkelheit verborgen. Nicht nur ein gutes Versteck für alle nur unvorstellbaren gefräßigen Räuber, sondern vor allem eine perfekte Leinwand, auf der Charitys außer Rand und Band geratene Phantasie alle möglichen Schreckensbilder malen konnte. Immerhin sah sie, daß sie auf dem richtigen Weg war. Auf dem Boden glitzerten Stücke von weißem, zersplittertem  Chitin, hier und da ein abgerissenes Bein, eine zerbrochene Mandibel… die übliche Spur, die ein Heereszug der Raubwanzen hinterließ. Rücksicht auf Artgenossen wurde bei den Killerinsekten nicht besonders groß geschrieben. Wer nicht schnell genug war oder das Pech hatte, über seine eigenen Beine zu stolpern, wurde niedergetrampelt oder gleich aufgefressen. Güte und Gnade, Zuneigung und Mitleid – solche Empfindungen waren diesen Kreaturen völlig fremd. Charity warf einen letzten, enttäuschten Blick in den Himmel. Von Skudders Kavallerie war noch immer nichts zu sehen.  Wir haben ein Kommunikationsproblem, dachte sie sarkastisch. Sobald sie wieder in der Basis war, würde sie sich mit Skudder dringend über die Bedeutung der Worte drei Minuten unterhalten müssen.  Falls sie wieder in die Basis zurückkam. Charity zog ihre Waffe, löste den Handscheinwerfer vom Gürtel und schaltete ihn ein. Der weiße, scharf gebündelte Strahl riß einen Streifen fast schon unangenehmer Helligkeit aus der Schwärze, die den Tunnel erfüllte. Die Dunkelheit dahinter schien dadurch nur noch bedrohlicher und unheilverkündender zu werden. Charitys Herz begann zu klopfen. Sie ging weiter, bewegte sich aber weniger schnell, als sie vorgehabt hatte, und die Lampe in ihrer Hand zitterte. Der Spur der Wanzenarmee zu folgen, war nicht besonders schwer. Überall lagen Stücke zerbrochener Insektenpanzer, und einmal fand sie sogar ein verletztes Tier, das noch lebte; wenigstens so lange, bis sie weiterging. Der Stolleneingang und das Tageslicht blieben rasch hinter ihr zurück. Aus dem unguten Gefühl, mit dem Charity den Tunnel betreten hatte, war längst eine zwar nicht lähmende, aber nagende Angst geworden. Ihre Schritte verursachten hallende, unheimlich verzerrte Echos an den unsichtbaren  Wänden des Tunnels, und sie war jetzt sicher, huschende Bewegung in der Schwärze jenseits des Scheinwerferlichts zu spüren. Es war Wahnsinn gewesen, hierher zu kommen. Sie hatte keine Chance, das Kind zu finden. Dafür hatten die Wanzen alle Chancen, sie zu finden. Trotzdem ging sie weiter. Langsam, aber ohne anzuhalten. Es war viel zu spät, jetzt noch umzukehren. Nach einer Weile tauchte etwas Großes, Glitzerndes im Licht ihres Handscheinwerfers auf. Charity blieb für einen Moment stehen, ging dann langsamer weiter und brauchte noch fast ein Dutzend Schritte, um zu erkennen, worauf sich das Licht brach: Auf den verrosteten Schienen vor ihr stand ein uralter Zug. Der Lack war längst abgeblättert oder unter einer einheitlichen grauen Staubschicht verschwunden, die vermutlich zur Härte von Beton erstarrt war, und sämtliche Scheiben fehlten. Sonderbarerweise gab es jedoch keinen einzigen Glassplitter, und als Charity sich dem Triebwagen weiter näherte, erkannte sie, daß auch der Boden ringsum seltsamerweise vollkommen aufgeräumt und leer war. Langsam und vorsichtig näherte sie sich weiter
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