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Ueberfall auf Skytown

Ueberfall auf Skytown

Titel: Ueberfall auf Skytown
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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dem Wagen, umrundete ihn in respektvollem Abstand und öffnete schließlich die rückwärtige Tür. Der Lauf ihrer Waffe und der Handscheinwerfer zielten nebeneinander ins Innere des Wagens. Was Charity in dem grellen Licht sah, das harte Schlagschatten warf, überraschte sie. Es gab im Inneren des Wagens keine Gefahr, aber er war auch nicht leer, oder mit fünfzig Jahre altem Unrat erfüllt, wie sie angenommen hatte. Der Wagen machte einen aufgeräumten, beinahe sauberen Eindruck. Auf einigen der mit brüchig und rissig gewordenen roten Kunstleder bezogenen Bänke lagen zerschlissene Decken und Kissen. Im hinteren Teil des Wagens standen etliche  sorgsam aufgestapelte Kisten, deren Inhalt sie nicht zu erraten vermochte, und unweit der Tür entdeckte sie einen kleinen Gasbrenner sowie ein verbeultes Kochgeschirr aus Aluminium. In diesem Wagen hatten Menschen gewohnt. Und sie wußte auch, wer diese Menschen waren. Charity vergeudete keine Zeit damit, den Wagen eingehender zu inspizieren, sondern schloß die Tür wieder und bewegte sich weiter in den Tunnel hinein. Ihre Entdeckung verwirrte sie. Sie hatte das Versteck jener Menschen gefunden, auf die sie draußen gestoßen war – aber das beantwortete nicht die Frage, wie sie überhaupt hierher gekommen waren. Sie hatte erst wenige weitere Schritte in die Dunkelheit hinein getan, als der Lichtstrahl erneut auf ein Hindernis stieß. Diesmal war es jedoch kein Wagen, sondern ein Gewirr aus Trümmerstücken, verborgenen Metallträgern und zerborstenem Beton, das den Tunnel nahezu auf der gesamten Breite blockierte. Staub tanzte im Licht des Scheinwerfers, und Charity hörte ein leises, gleichmäßiges Rieseln und Rascheln, als würde Sand durch feine Hohlräume sickern. Charity hob die Lampe und ließ den Lichtstrahl an der Decke entlangtasten. Der Tunnel war nicht zur Gänze eingestürzt. Durch einen schier unglaublichen Zufall war nur die Betonverschalung abgesprengt. Doch Charity sah auch geschmolzenes und wieder erstarrtes Gestein und verbogene Stahlträger, und der Anblick machte ihr endgültig klar, was hier geschehen war. Irgendwo, nicht weit über diesem Tunnel mußte einer ihrer Laser- oder Vibratorschüsse eingeschlagen sein. Zwanzig oder dreißig Meter weiter den Tunnel hinauf, und hundert Tonnen Stahlbeton und Erdreich wären auf den Triebwagen hinuntergekracht und hätten jedes Leben darin ausgelöscht. Der Gedanke ließ Charity nicht nur einen eisigen Schauer über den Rücken laufen, er bestärkte sie auch in ihrer  Überzeugung, richtig zu handeln. Sie war es diesen Leuten schuldig, das vermißte Kind zurückzuholen. Vorsichtig begann sie, über den Berg aus Schutt und Stahltrümmern hinwegzuklettern. Sie war noch immer auf dem richtigen Weg, wie ihr Teile von zerbrochener Panzerung und die leblosen Kadaver von ein, zwei Raubwanzen bewiesen. Die Insektenarmee war hier entlanggezogen. Um besser klettern zu können, steckte Charity die Waffe ein, wenn auch mit einem unguten Gefühl. Wenn sie den Gipfel des Trümmerberges erreichte und sich unversehens der gesamten Wanzenarmee gegenübersah, dann konnte die Zeit, die sie brauchte, um die Waffe zu ziehen, vielleicht nicht mehr reichen. Ihre Befürchtungen erwiesen sich jedoch als unbegründet. Der Tunnel war auf der anderen Seite so leer wie auf dieser. Sie sah nicht einmal mehr die Spuren des Raubzuges. Aber nach einigen Augenblicken hörte sie etwas: Das leise, angsterfüllte Weinen eines Kindes. Charity erstarrte zur Salzsäule, schloß die Augen und lauschte. Das Geräusch war sehr leise, gerade noch an der Grenze des Hörbaren, so daß sie sich für einen Moment ernsthaft fragte, ob sie den Laut tatsächlich gehört hatte, oder ob er nur ein Produkt ihrer Phantasie gewesen war – ein Geräusch, das sie sich so verzweifelt zu hören wünschte, daß ihr Unterbewußtsein ihr diesen Wunsch erfüllte. Doch wenn sie weiter hier herumsaß, würde sie es nie herausfinden. Unendlich vorsichtig begann sie, den Trümmerberg auf der jenseitigen Flanke wieder hinabzusteigen. Unter ihren Füßen lösten sich Steine und Schutt, und das Poltern und Kullern der Miniatur-Lawine verschluckte für Augenblicke das leise Weinen. Am Fuße des Hanges angekommen, blieb Charity erneut stehen und lauschte. Sie brauchte einige Sekunden, um das Geräusch wiederzufinden und zu orten.  Es kam von rechts, nicht weit aus der Tiefe des Stollens heraus, und war jetzt deutlich lauter geworden. Charity schwenkte die
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