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Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt
Autoren: Umberto Eco
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erscheint öder ein galoppierendes Pferdchen, und wenn wir den Kopf bewegen, sehen wir von dem Objekt auch die Teile »hinter der Perspektive«. Ist der Kasten rund, so können wir das Objekt von allen Seiten betrachten. Ist es mit Hilfe einiger Kunstgriffe in Bewegung photographiert worden, so bewegt es sich vor unseren Augen, beziehungsweise wir bewegen uns und sehen dann, wie die abgebildete Schöne uns zuzwinkert oder wie der Angler aus der Bierdose trinkt, die er in der Hand hält. Es ist nicht Kino, es ist eine Art virtuelles Objekt in drei Dimensionen, das auch da existiert, wo wir es nicht sehen, aber sehen können, sobald wir uns nur bewegen.
    Holographie ist kein Spielzeug, sie wird von der NASA studiert und zu Raumforschungszwecken angewandt, sie wird in der Medizin benutzt, um realistische Bilder von Organverwachsungen zu gewinnen, sie dient in der Luftbild-Kartographie, in vielen Industriezweigen zur Erforschung chemischer und physikalischer Abläufe … Aber auch Künstler beginnen sie zu benutzen, Künstler, die sich früher vielleicht dem Hyperrealismus verschrieben hätten, dem Streben nach photographisch exakter Wiedergabe der Realität, dessen höchste Ansprüche sie nun er-füllt. Das größte jemals geschaffene Hologramm steht vor dem Museum der Hexerei in San Francisco. Es zeigt den Teufel mit einer betörenden Hexe.
    Nur in Amerika konnte die Holographie so rasch und blühend gedeihen, nur in einem realismusbesessenen Land, in dem eine bildliche Wiedergabe, um glaubwürdig zu erscheinen, partout und auf Teufel komm raus »ikonisch« sein muß: anschaulich und wahrheitsgetreu im Sinne einer täuschend ähnlichen, täuschend
    »echt« wirkenden Kopie der wiedergegebenen Realität.
    Gebildete Europäer und europäisch erzogene Amerikaner
    sehen die USA meist nur als die Heimat der Wolkenkratzer aus Stahl und Glas sowie des abstrakten Expressionismus. Doch die USA sind auch die Heimat von Superman, dem übermenschli-chen Helden einer Comic-Serie, die seit 1938 erscheint. Dieser Superman hat von Zeit zu Zeit das Bedürfnis, sich mit seinen Erinnerungen zurückzuziehen, und dann fl iegt er ins unwegsame Gebirge, wo tief im Felsen, bewehrt durch ein riesiges Stahltor, seine »Festung der Einsamkeit« liegt.
    Dort hält er sich seine Roboter, treue Kopien seiner selbst und Wunderwerke der elektronischen Technik, die er von Mal zu Mal in die Welt aussendet, um sich auf diese Weise einen berechtigten Wunsch nach Ubiquität zu erfüllen. Und diese Roboter sind unglaublich, denn sie wirken absolut »echt«, es sind nicht mechanische Blech- und Plexiglasmännchen, die schnar-rend und piepsend daherkommen, sondern perfekte »Kopien«
    des Menschen mit Haut und Haaren, Stimme, Bewegungen
    und Entscheidungsvermögen. Doch Superman benutzt seine Festung auch als Museum der Erinnerungen: Alle Ereignisse seines an Abenteuern so reichen Lebens werden dort registriert in Form von perfekten Kopien, oder auch regelrecht konserviert in Form von miniaturisierten Originalbeweisstücken – wie die Stadt Kandor, einzige Überlebende nach dem Ruin des Planeten Krypton, die er weiter am Leben erhält, verkleinert, unter einer Glasglocke im Format Omas Gute Stube, mitsamt Gebäuden, Schnellstraßen, Autos, Männern und Frauen. Der pedanti-sche Eigensinn, mit dem Superman allen Trödelkram seiner Vergangenheit aufbewahrt, erinnert an jene Kuriositätenkabinette oder »Wunderkammern«, die besonders in der deutschen Kultur der Barockzeit verbreitet waren und ihren Ursprung in den Schatzkammern mittelalterlicher Feudalherren hatten, vielleicht auch schon früher in den römisch-hellenistischen Sammlungen (in denen man ohne Unterschied Einhorn-Hörner neben Kopien griechischer Statuen sammelte, später auch mechanische Krippen, verblüffende Automaten, krähende Hähne aus Edelmetall, Uhren mit kleinen Männchen, die um zwölf heraustraten, und dergleichen mehr). Zu Anfang erschien jedoch Supermans Pedanterie unglaublich, da Wunderkammern – dachte man – heutzutage niemanden mehr betören; und es gab ja noch nicht jene Praktiken post-informeller Kunst wie zum Beispiel Armans Assemblagen von Uhrengehäusen in einem Plexiglasschrein oder Spoerris Fragmente des Alltagslebens (ein unabgeräumter Tisch nach einem wüsten Mahl, ein zerwühltes Bett); oder die post-konzeptuellen Übungen einer Annette Messager, die ihre Kindheitserinnerungen in neurotisch-penibel liniierten Heften aufl istet und als Kunstwerke ausstellt.
    Am
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