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Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt
Autoren: Umberto Eco
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privaten Forschungen widmen) als ein amerikanischer Universitäts-Campus. Bisweilen ruft der Fürst einen jener Mönche an seinen Hof, macht ihn zu seinem Berater und schickt ihn als Botschafter in das ferne Katai, und der also Berufene wechselt gleichmütig aus dem Kloster ins weltliche Leben, wird ein Machthaber und versucht, die Welt mit derselben aseptischen Perfektion zu regieren, mit der er zuvor seine griechischen Texte kollationierte. Er mag Gerbert von Aurillac oder Robert McNamara heißen, Bernhard von Clairvaux oder Henry Kissinger, er kann ein Mann des Friedens werden oder ein Kriegsmann (wie Eisenhower, der ein paar Schlachten gewann und sich dann wieder in sein Kloster zurückzog, um College-Direktor zu werden, bis er von neuem in die Dienste des Reiches trat, von den Massen als charismatischer Held gerufen).
    Allerdings ist es zweifelhaft, ob diesen mönchischen Zentren die Aufgabe zukommen wird, den Fundus der vergangenen Kultur zu registrieren, aufzubewahren und weiterzugeben, womöglich mit Hilfe hochkomplizierter elektronischer Apparate (wie der Computerfachmann Vacca suggeriert), die das Vergangene Stück für Stück wiederherstellen, ohne je seine Geheimnisse ganz zu enthüllen. Das andere Mittelalter erzeugte am Ende zwar eine Renaissance, die sich damit amüsierte, Archäologie zu betreiben, aber selber betrieb es keineswegs systematische Konservierung, sondern achtlose Destruktion und planlose Konservierung: Es ließ essentielle Manuskripte verlorengehen und rettete völlig irrelevante, es schabte wunderbare Gedichte ab, um platte Rätsel und Gebete darüber zu schreiben, es verfälschte die heiligen Texte, indem es Passagen einfügte, und auf diese Art schrieb es »seine«
    Bücher. Das Mittelalter erfand die kommunale Gesellschaft, ohne Kenntnis von der griechischen Polis zu haben, es gelangte nach China in der Erwartung, dort Menschen mit nur einem Fuß vorzufi nden oder mit dem Mund am Bauch, es gelangte vielleicht nach Amerika vor Columbus, indem es sich an die ptolemäische Astronomie und an die Geographie des Eratosthenes hielt …
    13. Die permanente Transition
    Unser Neues Mittelalter wird eine Epoche der »permanenten Transition« sein, die neue Adaptionsmethoden verlangt. Das Problem wird nicht so sehr darin liegen, die Vergangenheit wissenschaftlich zu konservieren, sondern Hypothesen über die Nutzung des Chaos aufzustellen, indem man sich auf die Logik der Konfl iktualität einläßt. Es wird, wie in Ansätzen schon zu sehen ist, eine Kultur der laufenden Neuanpassung entstehen, die sich an Utopien nährt. So und nicht anders hatte der mittelalterliche Mensch die Universität erfunden, mit der gleichen Vorurteilslosigkeit, mit der die fahrenden Kleriker unserer Tage sie nun zerstören (und vielleicht transformieren). Das Mittelalter hat die Erbschaft der Vergangenheit auf seine Weise gehütet: nicht indem es sie wie einen Schatz vergrub, sondern indem es sie laufend neuübersetzte, benutzte und adaptierte, in einer immensen Bastelarbeit auf der Kippe zwischen Hoffnung, Nostalgie und Verzweifl ung.
    Unter seinem so immobil und dogmatisch erscheinen-
    den Äußeren hatte es paradoxerweise ein Moment von
    »Kulturrevolution«. Natürlich war der ganze Prozeß geprägt von Pestwellen und Massakern, Intoleranz und Tod. Niemand behauptet, die Aussicht auf ein Neues Mittelalter sei rundum erfreulich. Wie die Chinesen sagten, um jemanden zu verfl uchen:
    »Möge es dir beschieden sein, in einer interessanten Epoche zu leben.«
    (1972)
    II
    Reise ins Reich der Hyperrealität
    Die Festungen der Einsamkeit
    Die Mädchen, beide sehr schön, sind nackt. Sie knien vorein-ander, streicheln sich zärtlich, küssen sich, lecken sich mit der Zunge über die Brustspitzen. Sie hocken in einer Art Zylinder aus Plexiglas. Auch ohne eingefl eischter Voyeur zu sein ist man versucht, den Zylinder zu umkreisen, um sie auch von der Seite, von hinten und von der anderen Seite zu sehen. Dann nähert man sich dem Zylinder, der auf einer kleinen Säule steht und nur ein paar Handbreit Durchmesser hat, um von oben hineinzusehen: Die Mädchen sind nicht mehr da. Es handelt sich um ein Exponat in einer New Yorker Ausstellung der Schule für Holographie.
    Holographie, das neueste Wunder der Lasertechnik, bereits in den fünfziger Jahren von Denis Gabor erfunden, realisiert eine farbphotographische Wiedergabe in mehr als drei Dimensionen. Wir blicken in einen Magischen Kasten, in dem eine Miniaturlokomotive
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