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Über den Zufall - Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe

Titel: Über den Zufall - Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe
Autoren: Carl Hanser Verlag
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deshalb, weil für Hölderlin nur das Ideale wirklich war. Wenn jemand stirbt, sagt der Romanschreiber ich. Und wenn er liest – und er liest viel in dem Roman, den ich schreibe, – wenn er liest, sagt er ebenfalls ich. Auch in den Romanen, die Jean Paul schrieb, erklärt sich der Romanschreiber fast immer zur Figur innerhalb der Handlung, namentlich als Jean Paul, mal in der ersten, mal in der dritten Person. In der Unsichtbaren Loge etwa ist der Romanschreiber, der sich Jean Paul nennt, der Lehrer Gustavs, dessen Leben der Roman erzählt.
     
    Man muß nicht denken, daß ich Informator geworden, um Lebensbeschreiber zu werden, d.h. um pfiffigerweise in meinen Gustav alles hineinzuerziehen, was ich aus ihm wieder ins Buch herauszuschreiben trachtete; denn ich brauchte es erstlich ja nur wie ein Romanen-Manufakturist mir bloß zu ersinnen und andern vorzulügen; aber zweitens wurde damals an eine Lebensbeschreibung gar nicht gedacht. 3
     
    Die Ebenen einmal auseinander gelegt: Jean Paul erfindet die Begründung, daß er alles erfinden könnte, weil es ein Roman ist, aber nicht erfinden muß, weil er es selbst erlebt hat, ohne damals schon an einen Roman zu denken. Das sind noch einmal ein paar Winkel der literarischen Postmoderne mehr als in jedem Roman von heute:
     
    »Bei meiner Seele! so etwas sollte man drucken lassen.«
     
    ruft einmal jemand in der Unsichtbaren Loge , der Rittmeister des heranwachsenden Gustav.
     
    Und wahrhaftig, hier lässet man es ja drucken
     
    fügt der Romanschreiber hinzu, den Jean Paul Jean Paul nennt.
     
    »Das schönste Beet« – sagt’ ich – »ist in diesem Eden das, daß mein Werk kein Roman ist: die Kunstrichter ließen sonst fünf solche Personen auf einmal wie uns nimmermehr ins Bad, sie würden vorschützen, es wäre nicht wahrscheinlich, daß wir kämen und uns in einem solchen Himmel zusammenfänden. Aber so hab’ ich das wahre Glück, daß ich eine bloße Lebensbeschreibung setze und daß ich und die andern sämtlich wirklich existieren, auch außer meinem Kopfe.«
     
    Noch einmal der Reihe nach: Ein Romanschreiber, der an einigen Stellen Jean Paul genannt wird, behauptet, daß der Roman kein Roman sei, und die darin auftretenden Personen sämtlich wirklich existierten, auch außer seinem Kopfe. Und sein Argument ist, daß ein Roman auf Wahrscheinlichkeiten beruhe, also einer Ordnung, die Unwahrscheinlichkeiten nur in dem Maße zuließe, daß sie nicht als Regel erscheinen. Hingegen in der Wirklichkeit geschähen so viele Zufälle, daß es in einem Roman für unwahrscheinlich gehalten würde und also ausgeschlossen sei. In dem Roman, den ich schreibe, behauptet der Romanschreiber, der an einigen Stellen Navid Kermani genannt wird, daß der Roman kein Roman sei und Jean Paul wirklich unter seiner Tischplatte gelegen habe, auch außer seinem Kopfe. Und sein Argument ist, daß ein Roman auf Wahrscheinlichkeiten beruhe, also einer Ordnung, die Unwahrscheinlichkeiten nur in dem Maße zuließe, daß sie nicht als Regel erscheinen. Hingegen in der Wirklichkeit geschähen so viele Zufälle, daß es in einem Roman für unwahrscheinlich gehalten würde und also ausgeschlossen sei. Dieser Logik nach hätte unter meiner Schreibtischplatte doch nicht Finnegans Wake gelegen, sondern wirklich Jean Paul, und ich – also ich, nicht der Romanschreiber, der an einigen Stellen Navid Kermani genannt wird, – ich hätte nur behauptet, daß Finnegans Wake unter meiner Schreibtischplatte gelegen habe, damit Sie – Sie großgeschrieben, also die Hörerinnen und Hörer der diesjährigen Frankfurter Poetikvorlesung, nicht sie kleingeschrieben für andere Figuren des Romans – damit Sie denken: »Es ist ja nur im Roman« und sich nicht zu sehr über den Zufall wundern, daß unter der Schreibtischplatte, auf dem ich den Roman zu schreiben begann, ausgerechnet Jean Paul lag, der im weiteren Verlauf eine so große Rolle spielt, daß ich ihn sogar im Titel der Frankfurter Poetikvorlesung erwähne – erwähnen muß! –, die im Sinne Thomas Manns der Roman des Romans ist, den ich schreibe. Und dreht man die Schraube meiner Romanmanufaktur noch eine Drehung weiter, sind Sie großgeschrieben, also die Hörerinnen und Hörer der diesjährigen Frankfurter Poetikvorlesung, zugleich sie kleingeschrieben, also andere Figuren des Romans, den ich schreibe. Und das Schönste ist: Niemanden, nicht einmal mich selbst interessiert es mehr, was wirklich unter meinem Schreibtisch lag, wichtig ist nur das
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