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Über den Zufall - Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe

Titel: Über den Zufall - Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe
Autoren: Carl Hanser Verlag
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biographische Feder aus der Hand gezogen, und ich kann trotz aller Ostermessen und Fatalien in nichts eintunken. ..... 5
     
    und wie er sie zu überwinden versucht:
     
    Indessen will ich, solang’ ich noch nicht eingesargt bin, dem Publikum alle Sonntage schreiben und es etwa zu zwei oder drei Zeilen treiben . 6
     
    ist dabei Jean Paul genug, um sich über die Holprigkeiten aufzuregen, die ihm unterlaufen:
     
    Auch der Stil wird jämmerlich; hier wollen sich die Verba reimen. . . . 7
     
    Den Anweisungen eines Inspizienten gleich, die ins Parkett übertragen werden, stehen vor den Einschüben nicht nur Titel, sondern wird auch deren Ende durchgerufen:
     
    Extrazeilen . . . Ende der Extrazeilen 8
     
    Das Wort über die Puppen . . . Ende des Worts über die Puppen 9
     
    Daß auch der Roman, den ich schreibe, ständig mitbedenkt, wie er geschrieben ist, hat zur Folge, daß das, was ich Ihnen heute und an den kommenden Dienstagen, so Gott will, vortrage, anders als bei meinen Vorgängern und Vorgängerinnen nicht gesondert als kleine Broschüre oder als Taschenbuch erscheinen wird, sondern in wesentlichen Zügen zu dem Roman gehört, den ich schreibe. Dies ist der Roman, den ich schreibe. Sollten sie meine Vorlesungen also einmal nachlesen wollen, müßten Sie warten, bis der Roman erscheint, den ich schreibe, und sich dann durch tausend oder noch viel mehr Seiten mühen, auf denen sich seine Poetik hier und dort verteilt. Im Leben bedenkt man das eigene Tun schließlich auch nicht nur einmal oder an bestimmten Tagen. Man bedenkt das eigene Tun immer wieder und oft zu den unpassendsten Gelegenheiten. Ich denke zum Beispiel über den Roman nach, den schreibe, während ich die Frau umarme, die ich liebe, obwohl ich mit meinen Gedanken nur bei ihr sein sollte, nur wann ist man schon, wenn man kein Zen-Meister ist, mit seinen Gedanken nur bei einer Person oder Handlung, ißt nur , wenn man ißt, trinkt nur , wenn man trinkt. Auch jetzt, während ich Ihnen mein Manuskript vortrage, bin ich vielleicht gar nicht oder nicht ausschließlich bei Ihnen, sondern schweifen meine Gedanken – das ist jetzt rein hypothetisch, da ich das Manuskript ja längst geschrieben habe, bevor ich es Ihnen heute vortrage, und nicht wissen konnte, was ich genau in diesem Augenblick denke – sondern schweifen meine Gedanken zum Beispiel, weil ich sie bereits erwähnte, zu der Frau, die ich umarmte, während ich über den Roman nachdachte, den ich schreibe. Das Beispiel ist natürlich keineswegs hypothetisch, wie nichts in dem Roman hypothetisch ist, den ich schreibe, da ich gerade sehr wohl an die Frau denken mußte, die ich umarmte, während ich über den Roman nachdachte, den ich schreibe, da sie in dem Manuskript erwähnt ist, das ich Ihnen vortrage. Und weil auch Gott gern an Schrauben dreht, hat sich die Liebesnot, die der Roman schildert, nicht zuletzt dadurch vertieft, daß ich an den Roman, in dem ich die Liebesnot schildere, dachte, während ich die Frau umarmte, die ich noch immer liebe.
     
    Nur tut es meiner ganzen Biographie Schaden, daß die Personen, die ich hier in Handlung setze, zugleich mich in Handlung setzen und daß der Geschicht-oder Protokollschreiber selbst unter die Helden und Parteien gehört. Ich wäre vielleicht auch unparteiischer, wenn ich diese Geschichte ein paar Jahrzehnte oder Jahrhunderte nach ihrer Geburt aufsetzte, wie die, die künftig aus mir schöpfen werden, tun müssen. 10
     
    Ich bin, das werden Sie aus der anfänglichen Erwähnung bereits geschlossen haben, sehr glücklich über den Vertrag mit einem Verlag, da ich aus Gründen, die Ihnen sofort einleuchteten, wenn Sie den Roman kennten, den ich schreibe, lange nicht damit rechnen konnte, daß jemand ihn liest, geschweige denn veröffentlicht. Nicht einmal die Frau, die in dem Roman geliebt wird, hat ihn bislang gelesen, weil der Romanschreiber sich vor ihrer Reaktion fürchtet. Ich werde ihn ihr zu lesen geben, bevor der Roman veröffentlicht wird, den ich schreibe, und ihre Reaktion aufnehmen, so fürchterlich sie ausfällt. Der Romanschreiber hofft, daß die Frau, die er liebt, den Roman, den ich schreibe, als Liebeserklärung versteht, aber ich hoffe auf eine fürchterliche Reaktion, nein: genauer: ich hoffe ebenfalls auf ihr Verständnis, aber werde ihre Reaktion womöglich fürchterlicher ausmalen, als sie sein wird, wenn es sich als Spannungselement besser in den Roman fügen würde, den ich schreibe. Wem bereits solche Verwicklungen zu
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