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Ueber den Himmel hinaus - Roman

Ueber den Himmel hinaus - Roman

Titel: Ueber den Himmel hinaus - Roman
Autoren: Kimberley Freeman
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bestimmt . Oder?
    Lena entging nicht, dass sich Tante Stasja und Onkel Iwan hinter ihrem Rücken leise über sie unterhielten, und dass ihr Sofi, die zum Schein ein offenes Buch auf dem Schoß hielt, verstohlen mitleidige Blicke zuwarf. Natalja hatte sich im Kinderzimmer verkrochen. Doch Lena gab die Hoffnung nicht auf.
    Die Abenddämmerung zog sich endlos hin. »Lena«, sagte Tante Stasja schließlich. »Es ist Zeit, schlafen zu gehen.«
    Lena wandte sich zu ihr um.

    »Ich würde gern noch etwas aufbleiben und auf Papa warten.«
    Tante Stasja sah zu Onkel Iwan, der mit bekümmerter Miene ein paar Schritte auf sie zukam. Dann hielt er plötzlich inne und straffte die Schultern. »Lena«, sagte er streng. »Du hast deine Tante gehört. Ab ins Bett mit dir, sofort.«
    Lena begann heftig zu schluchzen, Tränen liefen ihr über die Wangen, eine nie gekannte Verzweiflung schnürte ihr die Kehle zu. Tante Stasja schloss sie in die Arme, um sie zu trösten, während Onkel Iwan den Schlüsselbund von dem Haken neben der Tür nahm und die Wohnung verließ. Lena konnte sich nicht erklären, womit sie ihn derart verärgert hatte. Sie schmiegte das heiße Gesicht an die weiche Baumwollbluse ihrer Tante. »Papa! Papa!«, rief sie ihn stumm ein ums andere Mal, wohl wissend, dass er sie nicht hören konnte.

KAPITEL 2
    Sieben Wochen, nachdem Papa verschollen war - diese Betrachtungsweise war Natalja lieber, als sich einzugestehen, dass er sich einfach aus dem Staub gemacht hatte -, begann der erste kalte Herbstwind das Laub von den Linden in ihrer Straße zu fegen. Die Mädchen waren zum Spielen in den Hof geschickt worden, weil sie in der Wohnung zu viel Krach gemacht hatten.
    Lena hörte ein Auto näherkommen und spähte wie so oft über die Ziegelmauer hinweg auf die Straße hinaus. Wann immer ein Wagen vorfuhr oder Schritte erklangen, dachte sie, es könnte Papa sein; wann immer ein Umschlag
aus dem Briefkasten lugte, machte sie sich erneut Hoffnungen. Natalja konnte Lenas ständigen Wechsel zwischen Zuversicht und Enttäuschung nicht mehr ertragen. Im Gegensatz zu ihrer kleinen Schwester hatte sie erkannt, dass ihr Vater weder ein anständiger Mensch war, noch ein besonders wichtiger. Vermutlich war es ihm ganz recht, dass er seine Töchter los war, und deshalb kam er nicht zu ihnen zurück. Aber Natalja war nicht gern betrübt, weshalb sie den Gedanken daran ganz einfach verdrängte und zunehmend gereizt reagierte, wann immer Lena auf Papa zu sprechen kam.
    Sofi saß auf einer alten Holzbank und bastelte eine Halskette, die einer Prinzessin würdig war. In ihrem Spiel war Natalja nämlich eine amerikanische Prinzessin, die in einem Palast lebte und zugleich in Filmen über ihr Leben mitwirkte. Der Palast bestand aus alten Laken, die sie zwischen den Gitterstäben des Tores und den Beinen der Bank aufgespannt hatten. Als Sofi ihr vollendetes Werk hochhielt, schnappte Natalja verzückt nach Luft.
    »Die ist wunderschön!«, rief sie. Die Kette war in der Tat ein kleines Kunstwerk, ein kompliziertes Geflecht aus Wollfäden und Plastikperlen in sorgfältig aufeinander abgestimmten Farben.
    »Warte, ich lege sie dir um.« Sofi erhob sich, und Natalja hielt ihre langen Haare hoch, während ihre Cousine mit geschickten Fingern die Bänder im Nacken verknüpfte.
    Dann winkte Natalja ihre Schwester zu sich, um sich bewundern zu lassen.
    »Oh, ist die schön«, sagte Lena. »Machst du mir auch eine, Sofi?«
    »Ich habe nur noch Perlen in komischen Farben«, erwiderte Sofi. »Vielleicht lässt dich Natalja ihre Kette tragen.«

    »Aber nur, wenn ich den ganzen Nachmittag die amerikanische Prinzessin sein darf und ihr meine Dienstmädchen spielt.«
    Lena war empört. »Ich will aber kein Dienstmädchen sein.«
    »Ist doch nur ein Spiel«, beschwichtigte Sofi sie gutmütig und gab Lena einen Schubs. »Stell dich nicht so an.«
    Bald waren sie ganz in ihr Spiel vertieft. Die Zeit verging viel zu rasch, und je tiefer die Sonne sank, desto wilder wurden sie. Ihr ausgelassenes Gekicher erfüllte den Hof, bis über ihnen plötzlich ein Fenster aufgerissen wurde und ein rotgesichtiger Mann brüllte: »Ruhe da draußen!«.
    Nachdem er das Fenster wieder geschlossen hatte, meinte Sofi ernüchtert zu Natalja: »Der ist Parteifunktionär; den dürfen wir nicht verärgern.«
    Doch Natalja fiel es schwer, sich leise zu verhalten, wenn sie eine Prinzessin spielte, und so stieß der Funktionär zehn Minuten später wutentbrannt das Tor zum Hof auf und
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