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Über Bord

Titel: Über Bord
Autoren: Ingrid Noll
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war insgesamt leicht irritiert.
    Bald stieß sie aber auf einen Satz, den sie auf Anhieb verstand: A. hat aus alten Jeans ein Sofa bezogen, geniale Idee! Die Entschlüsselung war insofern nicht schwer, als in Amalias Zimmer schon seit drei Jahren das besagte Möbelstück stand, das allerdings dank mangelnder Schneiderkunst nicht ganz so schick geraten war, wie Amalia sich das vorgestellt hatte. Anscheinend hatte ihre Tochter trotzdem mit ihrem unsäglichen Werk angegeben.
    Kurz darauf stutzte sie bei der Zeile: E. ist verliebt in mich . – E. stand ja wohl für Ellen, aber von Gerds eigener Verliebtheit war nicht die Rede. Mit Abkürzungen und Andeutungen wurde auch weiterhin nicht gespart. O. will ihren Wunsch bzgl. Seebestattung schriftl. Formulieren. Ellen erinnerte sich, dass Ortrud anlässlich der hündischen Trauerfeier zum ersten Mal von ihrem Tagebuch gesprochen und ihren Wunsch nach einer Ruhestätte auf dem Meeresboden geäußert hatte. Warum hielt Gerd das für wichtig genug, um es festzuhalten?
    Auch heute ausgiebig mit F. telefoniert, las sie mit Befremden. Falls es sich um Franziska handelte, dann stimmte etwas nicht, denn Gerd hatte ja behauptet, der Kontakt mit seiner Tochter sei seit langem abgebrochen. Natürlich konnte F. auch ein Kollege sein, ein Fritz, Florian oder Ferdinand. Nicht minder nebulös der merkwürdige Satz ziemlich am Ende der Apokryphen: Armagnac-Falle gestellt!
    Was zerbreche ich mir den Kopf, was soll der Quatsch, dachte Ellen plötzlich, Gerd hat mehr als ein halbes Leben hinter sich, da gibt es doch unendlich viele Bezüge auf Menschen und Ereignisse, von denen ich keine Ahnung habe. Sicherlich wird er mir alle Ungereimtheiten erklären können, aber vielleicht auch ärgerlich werden, weil ich geschnüffelt und diesen blöden Stick skrupellos einkassiert und verwendet habe. Trotz ihrer Gewissensbisse fuhr Ellen aber fort, in Gerds virtuellem Logbuch zu blättern.
    Herzattacke gelungen, E. und O. und selbst der Arzt sind mir auf den Leim gegangen. Jetzt war Ellen allerdings entsetzt, auch sie war darauf reingefallen.
    Warum hatte Gerd einen Herzinfarkt vorgetäuscht? Bloß um sich ihren Umarmungen zu entziehen? Auf einmal erschien ihr dieser wunderbare Mann in einem anderen Licht. Er war wohl kaum so integer, wie sie geglaubt hatte. Und seine Anrufe galten eventuell gar nicht ihr, sondern dem vermissten USB- Stick, von dem er nicht wusste, wo er abgeblieben war.
    Mit Herzklopfen legte Ellen den Störenfried in ihre einzige abschließbare Kommodenschublade. Morgen musste sie wieder gut erholt am Arbeitsplatz erscheinen, es hatte keinen Zweck, sich mit wirren Theorien verrückt zu machen. Alles würde sich aufklären, jetzt wollte sie erst einmal frische Kleider für den nächsten Tag herauslegen, sich die Fingernägel feilen und die Haare waschen. Und während sie dies und das sortierte und ordnete, Wasser in die Badewanne einließ und abgelaufene Kalenderblätter in den Papierkorb warf, fasste sie einen Entschluss: Am nächsten Wochenende würde sie nach Frankfurt fahren und ihrer Schwägerin die geliehenen Kleider zurückbringen. Im Anschluss würde sie Gerd einen Überraschungsbesuch abstatten.
    Wie schon seit Jahren fuhren Ellen und Amalia jeden Morgen gemeinsam zur Arbeit. Ellen hatte ihrer Tochter eingeschärft, bei ihrem Urlaubsbericht den Kolleginnen bloß nicht unter die Nase zu reiben, wieso es ausgerechnet zu einer Kreuzfahrt auf einem Luxusschiff gekommen war.
    »Sieh mal«, sagte Ellen, »die verdienen ja alle mehr oder weniger das gleiche Geld wie wir und könnten sich niemals eine solche Reise leisten. Man soll den Neid seiner Mitmenschen nicht herausfordern! Wenn wir so tun, als hätten wir es selbst bezahlt, dann rätselt man herum, woher wir plötzlich so viel Kohle haben. Dass man uns eingeladen hat, hört sich aber sehr verdächtig an, denn man wird sofort denken, wir ließen uns aushalten. Und die ganze merkwürdige Geschichte von meinem leiblichen Vater geht keinen was an, niemand braucht zu erfahren, dass wir nicht vom alten Tunkel abstammen. Omas Seitensprung würde sich im Nu herumsprechen, unser Ort ist klein, man würde sich schon wieder über uns das Maul zerreißen…«
    »Also gut, dann bleibt es bei der Version, dass wir die Reise gewonnen haben«, sagte Amalia gähnend. »Allerdings wissen Clärchen, Katja und Uwe Bescheid, die werden aber dichthalten.«
    »Das will ich hoffen! Tschüs, mein Schätzchen, bis heute Abend!«, sagte Ellen.
    »Mama,
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