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Tyrannenmord

Tyrannenmord

Titel: Tyrannenmord
Autoren: Roy Jensen
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zu tun und ihr kennt doch auch die rechte Abzweigung auf der Langballiger Straße, weiter oben, ungefähr anderthalb Kilometer vor Grundhof.«
    »Du meinst wohl die nach Dödenstrup?«, fragte Ben.
    »Genau die, Chef«, bestätigte Raoul, »und da das nur etwa 800 Meter Luftlinie beträgt, höre ich locker bis hier, wenn diese Krawallfigur gleich hinter dem Ortsschild volle Kanne aufdreht.«
    Raoul machte eine Pause und trank einen Schluck vom bereitgestellten Tee.
    »Das gleiche wiederholt sich dann, wenn er oben an der Einmündung kurz abbremsen muss und anschließend in unsere Richtung gleich wieder richtig Stoff gibt. Bevor er an unserem Anwesen dann vorbeibrettert, wird noch so richtig schön von der Anhöhe aus mit aufheulender Maschine in die langgezogene Kurve hineingedüst.«
    »Ja, meinst du, dass es immer ein und dieselbe Person ist?«, bohrte Nina weiter.
    »Na ja, der Sound der Maschine, gleiches Fahrverhalten, immer mal bestimmte Zeiten und, als ich dann den vorbeifahrenden Typen auf seinem Krad erblickt hatte, war das Bild in mir abgespeichert.«
    »Und Raoul, wie sieht er aus?«, fragte Ben.
    »So richtig viel sieht man ja unter der üblichen schwarzen Maskerade nicht, Chef«, bedauerte Raoul, »aber das, was ich sehen konnte, war, dass er einen schmalen Kinnbart trug und so eine blonde Mähne hinter ihm her flatterte. Ach ja, Tätowierungen auf seinen Unterarmen habe ich auch gesehen und dass er eine untersetzte, kräftige Figur hatte. Und er fuhr eine BMW …«
    »Du glaubst, dass er von oben aus dem Ort kommt?«, fragte Nina nach.
    »Ganz bestimmt!«, war Raoul überzeugt. »Dass er mit dem plötzlichen Auftreten der Biker was am Hut hat, weiß ich sicher, denn es fing bereits vor einigen Wochen an, dass sich die Zahl seiner Kumpane nach und nach erhöhte. Und er fuhr an den beiden Tagen am letzten Wochenende auch jedes Mal in vorderster Front.«

    Die Frequentierung der Langballiger Straße durch dröhnende Bikerhorden blieb nicht nur bestehen, sondern nahm mit der Zeit noch zu. Die jungen Wirtsleute mochten ihre Ferienwohnungen nicht mehr guten Gewissens anbieten. Jedenfalls wiesen Sie Erholungssuchende von vornherein auf mögliche Störungen hin, damit diese später keine böse Überraschungen erlebten.
    Aber ungeachtet der bereits rückläufigen Umsätze und der ernsten Sorgen, die sie sich mittlerweile machten, hatten sie an diesem sonntäglichen Vormittag zu einem Umtrunk geladen, denn sie konnten inzwischen auf drei, wenn auch harte Anfangsjahre zurückschauen.

    Außer Tages- und Pensionsgästen waren ihre direkten Nachbarn geladen. Ihrem Anwesen am Nächsten stand eine kleine, etwas heruntergekommene Kate, die Joe und sein alter Vater bewohnten. Die Leute nannten sie die Villa Kunterbunt, so wie fast immer irgendein besonderes Haus in irgendeiner Gegend den Anlass gab, dieses Prädikat aufgedrückt zu bekommen. Allerdings türmte sich im Vorgarten der beiden ein unübersehbares Sammelsurium. Joe hatte dort zwischen etlichen Holzteilen und ausrangierten Haushaltsgeräten bereits öfter versucht, Ordnung zu schaffen, brachte es aber nicht übers Herz, seinen Vater letztlich damit zu konfrontieren. Es wurde gemunkelt, dass der Alte aufgrund schlimmer Kriegserlebnisse und des Verlustes seiner Eltern auf der einstigen Flucht nichts mehr wegwerfen konnte. Von seinem Sohn Joe wusste man nur, dass er angeblich mal sehr gut verdient hatte, als Journalist einige Jahre in Arizona bei den Hualapais verbracht haben und sich jetzt mit dem Schreiben für Feuilletons und gesellschaftspolitische Themen über Wasser halten sollte.
    Des Weiteren waren Erika Long und Hinz Henningsen gekommen. Erika Long, eine eher zierliche, sehnige, engagierte Frau um die Sechzig betrieb nur ein paar Schritte weiter eine private Tierauffangstation, während der pensionierte Landwirt Hinz Henningsen direkt von seinem Hof aus als passionierter Jäger gern zur Treibjagd blies. Da die beiden so unterschiedlich gestrickten Menschen nur knapp einen halben Kilometer auseinander wohnten, waren in der Vergangenheit häufig Konflikte entstanden, von denen viele unter der Oberfläche weiter gärten.
    Während Joes Vater, eher etwas schüchtern und verloren, der bunt durcheinander gewürfelten Gesellschaft beiwohnte, schien der zur Selbstdarstellung neigende Henningsen eine seiner Bühnen – jedenfalls nach seinem dröhnenden Solo-Gelächter zu urteilen – in gewohnter Präsenz erklommen und vereinnahmt zu haben.
    Erika Long, die
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