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Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen
Autoren: Marianne Grabrucker
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die Interpretation eines Verhaltens, je nachdem, ob es sich um ein Mädchen oder einen Buben handelt, völlig verschieden ausfällt. Das gesellschaftlich positiver, höher bewertete Verhalten wird immer dem Buben zugeordnet, die bessere Interpretationsmöglichkeit ist für ihn reserviert, das Positive wird aus seinem Verhalten herausdestilliert. M. Mead sagt dazu: »Das verschiedenartige Prestige, das weibliche und männliche Betätigungen haben, ist ein Aspekt gesellschaftlicher Bewertung verschiedener Arbeitsweisen. Was immer auch die Männer tun ... hat mehr Prestige und wird als höhere Leistung bewertet als das, was Frauen tun.« 76 Spricht ein Bub nicht ins Telefon zum Anrufer, so konzentriert er sich auf das Wesentliche in typisch männlicher Art und ist nicht geschwätzig; macht ein Mädchen gleiches, ist es ungeschickt oder schüchtern (siehe 20. September 1984).
    5. Als letzte und wichtigste Ebene möchte ich die bisher nicht ausreichend beachtete und erforschte Grundhaltung der Mütter als überwiegende Erziehungspersonen gegenüber Tochter und Sohn anführen. Hierin sind im Ausgangspunkt schon große Unterschiede zu finden. Die größere Akzeptanz und Toleranz gegenüber dem Fremdartigen und Andersartigen liegt bei der Sohn-Mutter; es erfolgt das Hineintragen seiner Andersartigkeit in ihn, wobei für die Norm des anderen die Mutter sich selbst zum Maßstab nimmt. Wie immer die Mutter sich selbst versteht und erlebt, der Sohn muß »natürlich« im wahrsten Sinn des Wortes anders sein, denn er hat ja ein anderes Geschlecht. Hier denken und fühlen Mütter zutiefst und von vornherein biologistisch. Dagegen steht das Gefühl der Verschmelzung mit der Tochter, der Einheit, des bereits »Alles-Wissens« für das Mädchen, verbunden mit mangelndem Respekt vor der Andersartigkeit des Menschen und fehlender Phantasie für Interessen, Aufnahmebereitschaft und unvoreingenommener Wachheit des kleinen Mädchens. Die Mutter verfährt mit dem Mädchen nach dem Motto: »Was mich nicht interessiert, machen wir nicht, denn weil wir beide eins sind, interessiert es auch dich-nicht.« Ohne daß sie bösen Willens wäre, leistet sie die Übertragung der eigenen Lebenssituation auf die Tochter und setzt damit die eigene Beschränktheit fort.
    Hagemann-White hat sich dieses Aspektes angenommen und dazu einen psychoanalytischen Gedankengang entwickelt. Sie geht davon aus, daß der Prozeß der psychischen Abtrennung von der Mutter anders für Buben als für Mädchen verläuft, da für die im System der Zweigeschlechtlichkeit lebende Mutter der Sohn als das andere Geschlecht erlebt wird und ihm dies auch von ihr vermittelt wird. Sie drängt ihn eher dazu, sich gegen sie zu behaupten. Der Prozeß der Ichwer-dung des Buben ist eine Abgrenzung gegen die erste Bezugsperson, wird als solche erfahren und sexualisiert. Bei der Tochter hingegen wird die Abtrennung von der Mutter nicht vorangetrieben, das dialogische Moment tritt in den Vordergrund, »die Tendenz besteht, die Grenze eher schwimmend zu belassen«. 77 Dem Sohn werden Trotz und Größenwahn zugestanden, bei der Tochter wird eine einfühlsame Beziehung angestrebt; die Mutter arbeitet gezielter daran, weil sie mit mehr Sicherheit vor- und eingreifen kann. In der Entwicklungsphase der Selbstwerdung des Kindes durch langsame Lösung aus der mütterlichen Symbiose ist die ständig zur Seite stehende Mutter, die Frau notgedrungen Zielscheibe massiver Wut-, Haß- und Rachegefühle. Für den Sohn ist dies das Motiv, sich mit männlichen Macht- und Autoritätsfiguren zu identifizieren, um die Macht der-Mutter zu entkräften. 78 Für die Tochter bleibt zur Verwirklichung ihres Wunsches, die Mutter zu beherrschen, keine Möglichkeit der Identifikation. Sie kann lediglich hoffen, mächtige Männer an ihre Seite zu stellen und vermittels der Teilhabe an deren Machtstellung den psychischen Kampf mit der Mutter zu gewinnen.
Ausblick
    Ein bestimmender Eindruck in meinen Beobachtungen ist die Experimentierfreude der Mädchen-Eltern und der Konservativismus der Buben-Eltern. Für das Mädchen werden die geschlechtsspezifischen Grenzen hinausgeschoben, es erweitert seinen Lebensbereich im Vergleich zu vorangegangenen Mädchengenerationen. Erziehungsrezepte werden dazu ausreichend gegeben, 79 denn Mädchen können bei dem ganzen  Experiment ja nur gewinnen. Töchter-Mütter wollen für ihre Töchter gerade die Veränderung, eine andere Zukunft, eine andere Identität als die vorgegebene
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