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Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen
Autoren: Marianne Grabrucker
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Geschlechts rolle einmal festgelegt, so erzeugen sie neue geschlechtstypische Werte und Haltungen. Soweit Kohlberg. Ich zähle als wichtigste, diesem Erklärungsansatz zuzurechnende Faktoren alle von keiner Erziehungsperson ausgesprochenen und bewußt vermittelten Botschaften der Polarität unserer Kultur in Mann und Frau. Allein indem die Gesellschaft so existiert, wie sie ist, perpetuiert sich diese Zweiteilung der Menschen in »typisch« Mann und »typisch« Frau.
3. Die Geschlechtsetikettierung durch Erwachsene 
    Zu all dem tritt noch ein entscheidender weiterer Faktor hinzu, der bis vor kurzem nicht ausreichend erkannt und erforscht war. Carol Hagemann-White 70 kam bei der Untersuchung und Auswertung vorwiegend amerikanischer Forschung der Jahre 1978 bis 1982 zu dem überraschenden Ergebnis, daß entgegen gängiger Meinung bis zum Alter von ungefähr 15 Jahren nur sehr wenig Unterschiede im Sozialverhalten und den kognitiven Fähigkeiten zu erkennen sind. 71
    Gleiches ergab eine groß angelegte Untersuchung der Ergebnisse von über 2000 Büchern empirischer Forschungsdaten in den USA; auch hier wurde im Hinblick auf die allgemeine Intelligenz keinerlei Unterschied bei den Geschlechtern festgestellt. 72 Hagemann-White stellt eine Varianz von etwa 1 Prozent fest, die auf unterschiedliches Geschlecht zurückzuführen ist, und glaubt, daß die Unterschiede nicht berichtet worden wären, wenn sie nicht gerade zwischen den Geschlechtern festgestellt hätten werden können. Unterschiede in den kognitiven Fähigkeiten waren auf spezielle Versuchsanordnungen beschränkt und wechselten je nach konkreter Teilaufgabe zugunsten des einen oder des anderen Geschlechts. Soweit die Deutung der Einzelerfolge zugunsten eines Geschlechts ausfiel, hält Hagemann-White dies für sehr wichtig im Hinblick auf die Deutung im Rahmen stereotyper Erwartungen. Unterschiedliche Intelligenz im allgemeinen konnte jedoch nicht festgestellt werden. Das mögliche Verhaltensrepertoire der beiden Geschlechter überschneidet sich weitgehend, wird aber im Alltag aufgrund von festgelegten Rollenzuschreibungen durch die Umwelt nicht realisiert.
    Die geringen Unterschiede im Sozialverhalten wurden auf der Ebene der Herrschaft und Unterordnung gefunden. Aufgrund des jetzigen Standes der Forschung läßt sich unterschiedliches Verhalten in vier Bereichen benennen: Die durchschnittliche Fläufigkeit aggressiven Verhaltens ist unter Jungen höher;
    Mädchen zwischen zwei und fünf Jahren gehorchen eher den Erwachsenen (nicht aber nach dem fünften Lebensjahr); ab acht Jahren geben Mädchen in ihrer Selbsteinschätzung zu, eher Ängste zu haben als Jungen, aber nicht in dem Sinne, daß sie ängstlicher wären;
    als Gruppe scheinen Jungen etwa ab sechs Jahren Dominanz zu beanspruchen.
    Aufgrund der gefundenen Ergebnisse zog Hagemann-White folgenden Schluß: Die Entstehung der Geschlechterstereotype, die Einordnung der Kinder in männlich und weiblich mit allen dazu gehörenden Eigenschaften erfolgt durch die beobachtenden, definierenden und selektierenden Erwachsenen. In der Praxis werden Personen und auch Kinder nicht dann dem einen oder dem anderen Geschlecht zugeordnet, nachdem sie die dazu gehörenden Eigenschaften unter Beweis gestellt haben, sondern umgekehrt werden ihnen die Eigenschaften unterstellt, und ihr Verhalten wird bewertet nach Maßgabe ihrer Geschlechtszugehörigkeit. Da gerade Kleinkinder großen Wert darauf legen, ihrem eben eroberten Geschlecht entsprechend auch definiert zu werden, wollen sie nicht nur Mädchen oder Bub sein, sondern als solche auch erkannt werden. Sie werden sich also mit den von den Erwachsenen in sie hinein projizierten Eigenschaften identifizieren wollen, um das Mädchen, der Bub zu sein. Kate Millett drückte diesen gesellschaftlichen Mechanismus so aus: »Es gibt kaum eine andere Ideologie, die ihre Mitglieder so vollständig und unbarmherzig unter Kontrolle hat. Diese Ideologie bestimmt, daß jeder Mensch unabänderlich in eine der beiden Gruppen hineingeboren wird. Damit ist es aber noch nicht genug: man muß in jedem Augenblick neu beweisen, daß man tatsächlich wahrhaft männlich oder weiblich ist, und man beweist es am besten, indem man die jeweils vorgeschriebenen Eigenschaften annimmt.« 74
    Der von Hagemann-White aufgrund ihrer theoretischen Arbeit herausgefundene Aspekt korrespondiert mit meinen Beobachtungen, die ich anhand der Ereignisse in den ersten drei Lebensjahren von Anneli hatte. Bei einer
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