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Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen
Autoren: Marianne Grabrucker
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Fülle von Erlebnissen des Kindes, die nicht unmittelbar zum Erziehungsprogramm gehören, erfährt das Kind natürlich auch und gerade, daß gleiches Verhalten noch lange nicht gleiches ist. Es kommt immer darauf an, welches Geschlecht das Kind hat. Was beim Mädchen als Ängstlichkeit, beim Buben als Forschheit ausgelegt wird, sind möglicherweise lediglich verschiedene Entwicklungsstadien oder gar bloß die unterschiedliche Tageskondition.
    In fast allen Erklärungsansätzen wurde dieser Aspekt bisher übersehen. Vielleicht ist es an der Zeit, den Untersuchungsgegenstand zu wechseln. Es müßte statt der Kinder das betrachtende und damit gleich interpretierende »Auge« des Erwachsenen untersucht werden. Es würde sich herausstellen, daß dabei Verhaltensweisen bereits im Ansatz entsprechend dem jeweiligen Geschlecht eingeordnet werden. Wir verstellen uns mit dem Dualitätsdenken selbst den Blick. Vielleicht sollten wir uns mit dem Auge einer Amazone einmal unser Treiben und das unserer Kinder ansehen. Wir würden feststellen, daß, wie immer sich ein Bub verhält, alle positiv bewerteten Eigenschaften an ihn gehen, daß er selbstbewußt wird ohne eigenes Zutun, ohne wirklich signifikante Unterschiede zum Mädchen. Männliche Kinder sind künstlich und übermäßig geförderte Geschöpfe. Dagegen wird aber, wie immer sich ein Mädchen verhält, sein Verhalten an der Weiblichkeits-Elle gemessen und damit automatisch abgewertet.
    Wir sahen anhand vieler Beispiele, wie häufig die kleinen Mädchen Situationen begegnen, in denen sie lernen, sich erst über eine Eigenschaft, über ein Aussehen, das als mädchenhaft von den Erwachsenen definiert wurde, als Mädchen selbst zu bestimmen und nicht über ihren Körper, das heißt ihre wirkliche biologisch begründete Weiblichkeit. Ich möchte daraus für Mädchen und Buben den Schluß ziehen, daß beide sich nicht ihrem Wesen entsprechend entwik-keln können. Es hätten sich deshalb nicht nur die Frauen auf den Weg zu machen, ihre Identität, ihre Weiblichkeit zu suchen, sondern genausogut die Männer. Daß diese es nicht tun, liegt am mangelnden Leidensdruck und an der Angst vor Verlust ihrer Privilegien in der für sie bequemer eingerichteten Welt. Indem aber nur  Frauen sich auf den Weg der Veränderung begeben, sich und ihr Verhalten problematisieren, verschleiern wir, daß auch die Männer nichts oder sehr wenig über sich selbst wissen.
Zusammenfassung
    Aufgrund der eigenen Beobachtungen und Überlegungen lassen mich auch diese Sozialisationstheorien unbefriedigt. Sie erfassen nicht gänzlich die Komplexität des täglichen, oft zwölfstündigen Geschehens bei einem Kleinkind. Jede Erklärung für sich ist wichtig und richtig, aber ungenügend und keinesfalls ausschlaggebender Faktor, um alles das zu erkennen und einzuordnen, was das Kleinkind an geschlechtsspezifischem Verhalten überfällt.
    Ich bin mir sicher, daß nur eine Person, die das Kind über einen längeren Zeitraum täglich in seinen ganzen Wachphasen ohne künstliche Versuchsanordnung oder Untersuchungsatmosphäre begleitet, einen Eindruck von der Vielschichtigkeit des Problems der Entstehung einer Geschlechtsrolle erhält. Manches ist nur aus mehreren Ereignissen zu verstehen, die zum Teil tage- oder wochenlang auseinanderliegen. Ich versuchte diesen Eindruck im wesentlichen wiederzugeben. Daher glaube ich, daß es not täte, alle gefundenen Faktoren in einem großen Koordinatensystem miteinander zu verbinden und das dann entstandene System als eine Gesamtheit zu begreifen. Jeder Teilaspekt, den die Wissenschaft aufzeigte, trägt sein Teil zur Klärung des Ganzen bei. Wer einer Eindi-mensionalität des Denkens anhängt, muß unwillkürlich wegen des nicht feststellbaren, offen gebliebenen Restes von Erklärung für das Entstehen eines Mädchens, eines Buben auf die Biologie zurückgreifen oder Erziehungsrezepte geben. Es ist daher müßig, daß Fachleute sich gegenseitig mit ihren Erklärungsversuchen ausstechen oder überholen wollen, für ihr Konzept alleinige Richtigkeit beanspruchen. Ich kam aufgrund meiner Erfahrungen, die die Leserin anhand der erzählten Erlebnisse nachvollziehen kann, zu folgenden fünf miteinander verknüpften und sich überlagernden Ebenen, die zusammengenommen als Ursachen für Geschlechtsrollendifferenzen in Frage kommen:
    1. Die gängigste und für jedefrau einsehbare und einleuchtende Ebene ist die der bewußten Vermittlung geschlechtsspezifischen Verhaltens durch
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