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Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis

Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis

Titel: Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis
Autoren: Brian Roderick & Williams Gordon
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Blick auf eine grell reflektierende Metallfläche – die glänzend polierte Vorderseite von Wills Schaufel, die dieser wie ein Samurai-Bauarbeiter quer über dem Rücken trug.
    Er lächelte und beschleunigte seine Schritte, eine eher gewöhnliche Gartenschippe fest an die Brust gedrückt, und winkte der einsamen Gestalt in der Ferne eifrig zu. Mit seiner ungewöhnlich hellen Haut, der Baseballkappe und der Sonnenbrille war Will absolut unverwechselbar. Überhaupt wirkte sein ganzes Erscheinungsbild ziemlich merkwürdig: Er trug seine »Grabungskluft«, bestehend aus einer übergroßen Strickjacke mit Lederflicken an den Ellbogen und einer alten, dreckigen Cordhose undefinierbarer Farbe – dank der feinen Patina aus getrocknetem Schlamm, mit der sie überzogen war. Das Einzige, was Will nach jedem Gebrauch penibel reinigte, waren seine geliebte Schaufel und die glänzenden Metallkappen auf seinen schweren Arbeitsschuhen.
    »Was war denn los?«, fragte Will, als Chester schließlich vor ihm stand. Will war es ein Rätsel, was seinen Freund aufgehalten hatte; er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass irgendetwas wichtiger war als das hier.
    Immerhin war dies ein Meilenstein in Wills Leben: das erste Mal, dass er irgendjemandem erlaubte, eines seiner Projekte zu besichtigen. Allerdings fragte er sich nun, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte; schließlich kannte er Chester noch nicht besonders gut.
    »Tut mir leid, ich hatte ’nen Platten«, schnaufte Chester entschuldigend. »Ich musste das Rad zu Hause lassen und zu Fuß hierher laufen. Ziemlich schweißtreibend bei diesem Wetter.«
    Will schaute beklommen zur Sonne hinauf und runzelte die Stirn. Der strahlende Himmelskörper war nicht sein Freund: Aufgrund seiner fehlenden Pigmentierung war selbst das schwache Sonnenlicht an bewölkten Tagen in der Lage, seine Haut innerhalb kürzester Zeit zu verbrennen. Seinem Albinismus verdankte er die fast schneeweißen Haare und die hellblauen Augen, die nun ungeduldig in Richtung des Krater-Geländes schauten.
    »Also gut, dann mal los. Wir haben schon zu viel Zeit verloren«, sagte Will kurz angebunden. Er schwang sich auf sein Rad und strampelte los, wobei er Chester, der nun hinter ihm herlief, kaum eines Blickes würdigte. »Komm schon, hier entlang«, drängte er, als sein Klassenkamerad das von ihm vorgegebene Tempo nicht halten konnte.
    »He, ich dachte, wir wären längst da!«, rief Chester ihm nach und versuchte, zu Atem zu kommen.
    Chester Rawls – fast so hoch wie breit, stark wie ein Ochse und in der Schule als »Schrank« oder »Chester-Kommode« bekannt – war genauso alt wie Will, hatte aber entweder eine bessere Ernährung genossen oder die Gewichtheberstatur von seinen Vorfahren geerbt. Eines der weniger anstößigen Graffitis in der Schultoilette behauptete, dass sein Vater ein Kleiderschrank sei und seine Mutter ein massiver Schreibtisch.
    Obwohl eine Freundschaft zwischen Will und Chester ziemlich unwahrscheinlich schien, gab es einen Aspekt, der sie vereinte: Beide waren an der Schule Außenseiter und beide wegen ihrer Haut. In Chesters Fall handelte es sich um schwere Neurodermitis, die dazu führte, dass seine Haut schuppte, juckte und nässte. Die Ursache war entweder eine nicht identifizierbare Allergie oder nervöse Anspannung, wie ihm die Ärzte wenig hilfreich erklärten. Wie dem auch sei – er hatte die Hänseleien und spöttischen Bemerkungen seiner Mitschüler – darunter so gemeine Bezeichnungen wie »Schuppenscheusal« und »Schlangenarsch« – lange schweigend ertragen, bis er es irgendwann nicht mehr ausgehalten und zurückgeschlagen hatte, wobei ihm seine körperliche Überlegenheit gegenüber seinen Peinigern sehr zupassgekommen war.
    Es war Wills milchweiße Blässe, die ihn auf ähnliche Weise von der Norm unterschied. Eine Weile hatte er sich Bemerkungen wie »Kreidestrich« und »Frosty, der Schneemann« angehört, aber wesentlich impulsiver als Chester, hatte er eines Winterabends die Geduld verloren, als die Quälgeister ihm auf dem Weg zu einer seiner Grabungsstätten aufgelauert hatten. Zu ihrem großen Pech hatte Will seinen Spaten ziemlich effektiv eingesetzt; der blutige und einseitige Kampf war mit mehreren ausgeschlagenen Zähnen und einer zertrümmerten Nase ausgegangen.
    Verständlicherweise hatte man Will und Chester danach eine Weile in Ruhe gelassen und mit jener Art von widerwilligem Respekt behandelt, den man bissigen Hunden zollt. Trotzdem
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