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Tuchfuehlung

Tuchfuehlung

Titel: Tuchfuehlung
Autoren: Doris Meissner-Johannknecht
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Trauer!
    Die dritte Zigarette! Ein ernster Blick, sie stöhnt und klopft die Asche ab.
    «Hast du sie etwa nie wieder gesehen?»
    «Nein!», sage ich. In meiner Stimme kein Zweifel, kein Zittern. «Nein!»
    Auch meine Hände sind ruhig. Ich schäle einen grünen Apfel mit scharfem Messer, hauchdünn.
    «Ich versteh das nicht!», sagt sie und drückt die Zigarette aus. «Mir w ä r doch völlig egal gewesen, welches Land und welche Sprache. Von so einer Mutt er hätte ich mich nie getrennt !»
    «Aber Jan! Versteh das doch! Was sollte der mit einem Kind? Der war doch selber gerade erst fertig mit der Schule. Und sie hat arbeiten müssen. Hier hatte ich wenigstens Laura!»
    Ich zerreiße die grüne Apfelschlange in tausend Fetzen.
    «Das hättest du auch nicht ertragen!», sage ich. «Das neue Land, die neue Sprache.»
    Sie schaut auf die Uhr und steht auf.
    «Und wie kommt sie damit zurecht?», fragt sie.
    «Zuerst hat sie ständig angerufen, mir Briefe geschickt, mich gebeten zu kommen. Aber ich wollte nicht. Ich schick jeden Brief zurück. Immer noch. Und jetzt ist es sowieso zu spät. Jetzt hat sie einen neuen Sohn!»
    «Trotzdem!», sagt sie. «Das ist doch keine Lösung. Sie ist doch immer noch deine Mutter. So eine Liebe verschwindet doch nicht einfach, nur weil sie nebenbei als Frau auch noch einen Mann liebt. Und daran ändert auch ein neues Kind nichts. Du bist schließlich nicht austauschbar, Zeno Zimmer mann !»
    Sie schweigt. Jetzt erwartet sie, dass ich was sage.
    Aber ich hocke in meinem Panzer. Und der ist dicht.
    «Mensch, Zeno! Deine Mutter ist eine tolle Frau!»
    Sie steht auf, kommt auf mich zu, umfasst meine Schultern und schüttelt mich sanft.
    «Das ist doch verrückt, echt!»
    Vielleicht hat sie Recht. Vielleicht ist es das. Aber ich kann nicht zurück. Ich stecke fest. Mit diesem Panzer tief und fest im Schlamm. Ich wende mich ab und schaue aus dem Fenster.
    «Na gut, wenn du nicht willst. Du bist schließlich nicht mehr drei!»
    Sie hat schon die Klinke in der Hand.
    Geh nicht, möchte ich sagen. Aber ich bleibe stumm.
    «Bis morgen dann! Und lass dich nicht fertig machen. Könnte sein, dass sie Lust auf einen Spaß haben, auf deine Kosten. Du darfst ihnen keine Angriffsfläche bieten. Dann lassen sie dich vielleicht in Ruhe!»
    Noch im Hausflur sagt sie:
    «Aber ich hab schon gemerkt, du hast dazugelernt. Nur würde ich mir genauer überlegen, wann du deine Waffen ein setzt. Ein Panzer ist schon das härteste Geschütz!»
    Noch bleibt sie stehen, wartet ab, will den Panzer in die Garage fahren sehen. Aber ich habe den Schlüssel verloren.
    «Tschüs, Zeno! Und wenn was ist, ich bin da, denk dran!»
    Dann ist sie endgültig weg.
    Eva, meine allererste und allerbeste Freundin.
    Ich habe nicht geträumt. Auf dem Küchentisch liegen die Beweiskrümel.
     
    Am Nachmittag der Tausch: Panzer gegen Nähmaschine. Davon weiß nur Laura. Mein Vater will seinen Sohn lieber vor den Schulbüchern sehen, beim Judo, Reiten, Tennis oder beim Handball. Immer noch.
    «Lächerlich!», hat er beleidigt gesagt, als ich mit Laura nach dem Kochkursus auch noch den Nähkursus an der Volks hochschule belegt habe. « Denk an deine Zukunft!»
    «Ich tue nichts anderes!»
    Aber das will er nicht hören.
    Und sehen will er sie auch nicht, die Sachen, die ich genäht habe.
    Ich finde sie trotzdem schön, so schön, dass ich gar nicht glauben kann, dass sie von mir sind.
    Ich weiß nur nicht, wann ich sie tragen kann, ob ich sie jemals tragen kann ...
    Nein, ich trau mich damit nicht auf die Straße. Wenn mich jemand aus der 9 f sieht, bin ich geliefert. Ich muss aufpas sen. Zur Tarnung also eine Jeans wie alle, ein T-Shirt, Turn schuhe. Seit Jahren diese Einheitskleidung. Bloß nicht auffal len!
    Aber in mir ist dieses Verlangen nach dem anderen. Ganz tief. Immer schon. Seit ich denken kann. Aber nach diesem besonderen Tag damals war auch klar, dass ich aufpassen muss. Alle haben gelacht, ich hab mal wieder geheult und wusste überhaupt nicht, warum. Nur weil ich Lauras Kleid anhatte? Das blaue Matrosenkleid mit dem weißen Kragen, das mir noch ein wenig zu groß war und fast bis auf den Boden reichte? Ich kann es nicht vergessen. Obwohl ich es vergessen möchte...
    Es war ein warmer Sommermorgen. Ich stand vor dem großen Spiegel im Badezimmer, habe immer wieder dieses Kind angestarrt, das ich vor mir sah in diesem Riesenspiegel. Ich habe es angelächelt, es hat zurückgelächelt... und in mir war dieses seltsam
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