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Tuchfuehlung

Tuchfuehlung

Titel: Tuchfuehlung
Autoren: Doris Meissner-Johannknecht
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Grundschule. Sieben Jahre lang waren wir zusammen. Jeden Tag. Nur größer bist du geworden. Einen ganzen Kopf größer als ich. Und noch schöner. Diese wilden blonden Locken, die fand ich damals schon toll. Und deine blauen Augen ... Unwiderstehlich!»
    Jetzt grinst sie ziemlich unverschämt. Und ich werde rot.
    «Aber sonst? Du bist immer noch der Gleiche. Nur dünner. Vielleicht eine Spur zu dünn. Und immer noch anders als andere, dabei kann ich gar nicht genau sagen, weshalb. Das ist erst mal ein Gefühl. Aber ich werd es schon noch raus kriegen. Psychologie ist nämlich mein Spezialgebiet. Da bin ich gut. Jetzt schon. Ich durchschaue so ziemlich jeden. Und das ziemlich schnell!»
    Ich schau auf den Boden. Mir wird unheimlich. Aufpassen, Zeno! Diesen Psychoblick muss ich meiden.
    «Und weshalb bist du nicht schon in der 11 ? Wenn du so genial bist?»
    «Erstens werden wahre Genies in der Schule sowieso verkannt. Zweitens hatte ich ziemlich lange grüne Haare, drittens hatte ich eine Zeit lang keine Lust, jeden Tag zur Schule zu gehen!»
    «Und jetzt?»
    «Genug gegammelt. Jetzt klotz ich ran. Die Psychologie, die ruft mich. Und jetzt komm, sonst sind wir zu spät, und das Elend fängt wieder an!»
    «Und wie ist sie, die 9 f?»
    Sie seufzt.
    «Ziemlich schrecklich. Nur was für die Abgehärteten dieser Nation oder für die, die es werden wollen!»
    Sie schaut mich an.
    «Also, für dich, Zeno ... », sagt sie, und ihre Stimme ist selt sam ernst dabei, «... für dich ist diese Klasse vielleicht eine Überforderung!»
    Mir wird kalt. Warum, will ich fragen. Aber ich krieg kein Wort raus.
    Ich laufe hinter ihr her. Über Endlosflure, Endlostreppen, alles angegammelt, angesprüht, angeschlagen. Mir wird schlecht. Werde ich das aushalten können?
    «Wir sind da!», sagt sie und holt tief Luft.
    Hinter der Tür tobt das Chaos. Lauter noch als in der U-Bahn. Zu den Stimmen und dem Gelächter jetzt noch Tech no-Bässe. Nichts für sensible Ohren.
    «Wir haben Glück!», sagt sie. «Die Rosenkranz ist noch nicht da. Sie ist die Einzige, die sich hier durchsetzen kann. Für die anderen ist die 9 f die reinste Folter. Die haben Angst vor uns. Das kann man wunderbar ausnutzen. Total gemein zwar. Bringt aber Spaß!»
    Sie reißt die Tür auf und schiebt mich ins Klassenzimmer. Sie verschwindet ziemlich schnell im Gewühl von einigen Wilden. Mit zerschnittenen Hosen, gefärbten Hemden und verfilzten Haaren mit gelben, blauen und grünen Strähnen. Schädel teilweise glatt rasiert, auf den Armen Tätowierungen. Dolche, Schwerter und Löwen. Ziemlich wüst. Besonders die Jungen. Meine Klamotten sind viel zu neu, viel zu brav für diese Klasse. Hoffentlich falle ich nicht auf!
    Aber noch kümmert sich keiner um mich. Man hat sich ewig nicht gesehen, man hat sich unendlich viel zu erzäh len ... Ganz hinten, in der letzten Reihe, entdecke ich einen freien Platz. Heute ist Montag. Montag, der dreizehnte August. Kein Freitag. Das nicht... Aber die Gespenster lauern. Ich muss aufpassen. Es ist ein Glück, dass Eva da ist. Aber es wird nicht reichen. Das spür ich genau. Auch sie wird mich nicht wirklich retten können, wenn es so weit ist.
    « Lädst du mich zum Frühstück ein, Zeno ?»
    Für heute hat es gereicht.
    Um neun ist Tabea Rosenkranz fertig mit uns. Hinter ihrer Sonnenbräune lauert der Stress.
    Sie ist schön, streng und eine Spur genervt. Trotzdem behält sie ihr Lächeln.
    Eva schüttelt die anderen ab.
    «Um drei im ‹ Gorki › , ja?», wirft sie ihnen zu und ist bei mir.
    Ich freue mich. Einerseits freue ich mich, aber ich fürchte mich auch. Ihr Blick, die alten Geschichten ...
    «Ich hab kein Geld!», sage ich. Und hoffe auf Rettung.
    « Gehen wir doch zu dir!», sagt sie bloß. «In eurem Kühlschrank wird sich schon was finden, oder?»
    Immer noch hartnäckig, diese Eva!
    Sie fährt mit dem Rad. Ich fahr mit der U-Bahn.
    Eine Stunde später sitzen wir in unserer Küche.
    « Schön, eure Wohnung!», sagt sie. «Ich würde auch lieber in der Stadt wohnen als draußen!»
    Eva genießt. Das war immer schon so. Selbst bei meinen Phantasiemenüs mit fünf Gängen hat sie die Augen verdreht und «köstlich» gesagt. Schon mit drei. Und dann hat sie auf alle Frühstücksteller geschielt und versucht, ihre Vollkorn brote mit Dinkelpaste gegen Weißbrot mit Nutella zu tauschen. Das war schwierig. Und irgendwann blieb nur noch ich übrig, der zum Tausch bereit war. Nein, ich hab sie nicht gemocht, diese gesunden,
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