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Tuchfuehlung

Tuchfuehlung

Titel: Tuchfuehlung
Autoren: Doris Meissner-Johannknecht
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trockenen Brote, die nur mit drei Tassen Pfefferminztee herunterzuspülen waren. Und es war schwierig genug, sie zu überreden, mir ungesunde Nutellabrote mitzugeben. Aber ich habe durchgehalten. Sieben Jahre lang. Bis sie weggezogen ist. Bis wir umgezogen sind.
    Evas Vollkornbrote habe ich am Nachmittag immer heimlich an die Pferde verfüttert. Denen haben sie wirklich geschmeckt.
    Inzwischen hat sie eine Schale Müsli, einen Becher Joghurt, zwei Kiwis, sechs Erdbeeren, zwei Scheiben Toast und ein Ei gegessen. Dazu drei Tassen Kaffee und ein Glas Orangen saft.
    «Hab leider kein Nutella!», sage ich. «Und auch kein Weiß brot!»
    Sie grinst.
    « Dass du das noch weißt!»
    Sie lehnt sich behaglich zurück.
    «Erzähl mal!», sagt sie jetzt und fängt mich ein mit ihrem Blick. Ich angel die letzten Cornflakes aus meiner Milch. Aber die retten mich auch nicht. Aufschub nur.
    «Was denn?», sage ich.
    Sie holt eine Packung aus ihrer Jeansjacke. Zieht langsam eine Zigarette heraus, zündet sie an mit einem giftgrünen Billigfeuerzeug. Nein, mir bietet sie keine an.
    Nach dem ersten tiefen Zug sagt sie:
    «Du weißt schon! Weshalb sie weg ist. Und weshalb du ge blie ben bist. Das hat kein Mensch verstanden damals. Ihr zwei! Mein Gott, wie hab ich euch beneidet. Wie hab ich dich um diese Mutter beneidet...»
    Ich schiele auf die Zigarettenpackung. Nein. Lieber nicht.
    Ich geh zum Kühlschrank. Ein Joghurt mit Blaubeeren. Noch kann ich auf mich aufpassen. Keine Zigaretten, kein Alkohol.
    Sie lässt mich nicht los. Ihr Blick verfolgt mich. Hartnäckig, konsequent. Eva weiß, was sie will.
    Das ist schon immer so gewesen. Schon, als sie drei war.
    Aber er ist nicht nur forschend neugierig, ihr Blick. Jetzt spür ich seine Wärme ...
    Sie drückt die Zigarette aus und atmet tief.
    «Ich wüsste es gern. Ihr wart auf einmal alle weg. Und nichts war mehr wie vorher. Wir haben schließlich sieben Jahre lang nebeneinander gewohnt. Uns jeden Tag gesehen. So wie Geschwister. Ganz selbstverständlich. Uns hat noch nicht mal ein Gartenzaun getrennt. Ich habe geglaubt, das bleibt ewig so. Das ganze Leben lang. Es war schrecklich, als ihr dann plötzlich alle weg wart. Ich muss wissen, warum, versteh doch!»
    Bloß nicht losheulen. Ich will das nicht mehr. Ich hab mir das Heulen abgewöhnt. Hartes Training. Aber es hat funktioniert. Keine Träne mehr seit damals. Seit sie weggegangen ist.
    Aber sie hat es schon gemerkt. Ihrem Blick entgeht wirklich nichts. Sie steht auf. Jetzt wird sie zu mir kommen, mir den Arm um die Schulter legen, so wie früher, wenn Boris und Dennis mal wieder meine Schuhe versteckt oder mich ins Klo gesperrt hatten. Oder schlimmer noch: wenn in meiner Hose ein nasser Fleck war. Das hat natürlich immer irgendjemand gemerkt. Es hat viele Gelegenheiten gegeben. «Er heult schon wieder!» Und jedes Mal ist sie gekommen. So wie jetzt.
    Aber heute bin ich schneller. Ich geh zum Wasserhahn und lasse mir das kalte Wasser übers Gesicht laufen. Jetzt tief atmen. Fünfmal. Gerettet. Mein Therapieprogramm hat funk tio niert!
    «Schade!», sagt sie. Leise sagt sie das. Und enttäuscht. «Soll ich gehen?»
    «Nein! Bleib!»
    Ich halte mich an meinem Löffel fest, den Blick im Blaubeerjoghurt ...
    «Was weißt du denn?»
    «Nur, dass sie eines Tages weg war und ihr das Haus verkauft habt, mehr nicht!»
    Sie setzt sich, zündet eine neue Zigarette an. Jetzt schaut sie aus dem Fenster.
    « Sie hat sich verliebt. Mein Vater hat sie rausgeschmissen. Und dann ist sie weggezogen. Nach Holland zu ihrem Jan. Das ist alles!»
    «Wolltet ihr denn nicht mit?»
    «Laura wollte unbedingt bleiben. Wegen der Schule und der Musik. Und ihrer Clique!»
    Jetzt sucht sie wieder meinen Blick. Diese braunen Augen! Ich muss weggucken.
    «Und warum bist du geblieben? Wo dein Vater doch den ganzen Tag in seinem Laden ist!»
    «Was sollte ich denn in Holland? Wie hätte ich mich da zurechtfinden können? Ich bin hier ja kaum klargekommen. Denk doch mal an die tausend Fehler in meinen Diktaten! Und dann dieser Jan. Der war gerade mal zwanzig. Der konnte überhaupt nichts mit mir anfangen. Der wollte sie. Mehr nicht. Da war kein Platz für mich. Ich war wütend auf sie, dass sie uns das angetan hat. Sie hat uns verlassen. Dieser Jan war wichtiger als wir. Das verzeih ich ihr nie! In diesem Leben nicht!»
    Jetzt schaufe l ich mir den Joghurt rein. Einen Löffel nach dem anderen. Mit jedem Löffel schaufe l ich mir die Wut rein. Weg mit der verdammten
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