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TS 97: Das Mittelalter findet nicht statt

TS 97: Das Mittelalter findet nicht statt

Titel: TS 97: Das Mittelalter findet nicht statt
Autoren: L. Sprague de Camp
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was um ihn herum vorging.
    Und dann prallte er mit den Fußsohlen auf. Beinahe wäre er gestürzt. Er stieß gegen etwas und sagte:
    „Au!“
    Seine Augen begannen langsam die Umgebung wahrzunehmen. Er stand in einer Vertiefung, die darauf zurückzuführen war, daß ein Pflasterstein fehlte.
    Der Regen hatte sich inzwischen zu einem Platzregen entwickelt. Er stieg aus dem Loch und rannte unter den Portikus des Pantheons. Es war so finster, daß man eigentlich die Lichter in dem Gebäude hätte anschalten müssen.
    Padway sah etwas Eigenartiges: der rote Backstein der Rotunda war mit Marmorplatten bedeckt. Das war wohl eine der Restaurationsarbeiten, über die Tancredi sich beklagt hatte.
    Padways Augen schweiften müßig zu einem der Nichtstuer. Dann schüttelte er unwillkürlich den Kopf. Der Mann trug anstatt Jacke und Hose eine schmutzig-weiße wollene Tunika.
    Eigenartig. Aber wenn der Mann eine solche Maskerade wünschte, so ging das Padway schließlich nichts an.
    Er sah sich weiter um. Alle waren mit Tuniken bekleidet. Einige trugen ponchoartige Umhänge darüber.
    Ein paar von ihnen starrten Padway an. Als der Regen ein paar Minuten später nachließ, musterten sie ihn immer noch. Padway empfand Furcht.
    Die Tuniken allein hätten ihn nicht erschreckt. Eine einzige im Widerspruch zu allem anderen stehende Tatsache mußte irgendwie eine Erklärung haben. Aber je mehr er sich umsah, desto mehr solcher Tatsachen wurde er sich bewußt.
    Anstelle der Asphaltstraße sah er Schieferplatten.
    Um die Piazza standen immer noch Gebäude, aber es waren nicht dieselben. Padway fiel auf, daß das Senatshaus und das Verkehrsministerium verschwunden waren.
    Auch die Geräusche waren anders. Das beständige Hupen der Taxis fehlte. Es gab überhaupt keine Taxis. Statt dessen krächzten langsam zwei Ochsenkarren die Via della Minerva hinunter.
    Die Sonne kam heraus. Padway trat ins Freie. Ja, der Portikus trug immer noch die Inschrift, die den Bau M. Agrippa zuschrieb.
    Nach einem vorsichtigen Blick in die Runde, um sich zu überzeugen, daß niemand ihn beobachtete, trat Padway an eine der Säulen und schlug mit der Faust dagegen. Das tat weh.
    „Verdammt“, sagte Padway und blickte auf seine schmerzenden Knöchel.
    Dann dachte er: ich schlafe doch nicht. Alles das ist viel zu solide und greifbar, um ein Traum zu sein. An der frühen Nachmittagssonne und den Bettlern um die Piazza war doch nichts Phantastisches!
    Aber wenn er nicht träumte, was dann? Er konnte natürlich verrückt sein, aber das war eine Hypothese, auf der man schwer weiter aufbauen konnte.
    Da war Tancredis Theorie mit dem Zeitrutsch.
    War er zurückgerutscht, oder war ihm etwas zugestoßen, das ihn zu einer solchen Vorstellung drängte? Padway sagte die Zeitreisetheorie nicht zu. Das klang so metaphysisch, und er war ein rein empirisch denkender Mensch.
    Er hörte dem Geschwätz der Nichtstuer zu. Padway sprach recht gut, wenn auch pedantisch, Italienisch. Er verstand nicht ganz, was diese Leute redeten. Manchmal fiel ihm eine vertraut klingende Lautfolge auf, aber nie so viel, daß er einen Begriff verstehen konnte. Ihre Sprache klang so, wie Plattdeutsch für einen Engländer oder Amerikaner klingt.
    Er dachte an Latein. Das machte die Sprache schon verständlicher. Sie sprachen kein klassisches Latein. Aber jedenfalls war die Ähnlichkeit größer, und er konnte einen Teil davon erfassen.
    Die Leute sprachen eine spätere Form von Vulgärlatein, die der Sprache Dantes näher war als der Ciceros.
    Aber wenn das alles nur in seiner Phantasie vor sich ging, wo befand er sich dann wirklich? Stand er vor dem Pantheon und bildete sich nur ein, daß diese Leute in der Art und Weise der Periode 300 bis 900 n. Chr. gekleidet waren und sprachen? Oder lag er etwa in einem Krankenhausbett, um sich von den Folgen des Blitzschlages zu erholen, und träumte das alles nur?
    Ein Bettler hatte schon ein paar Minuten auf ihn eingeredet. Padway war jedoch so in seine Gedanken versunken, daß der Mann sein Vorhaben schließlich aufgab. Jetzt redete ihn ein zweiter Mann an. Er hielt in der linken Hand eine Perlenkette mit einem Kreuz daran. Zwischen dem rechten Daumen und Zeigefinger befand sich die Schließe der Kette. Jetzt hob der Mann die rechte Hand, bis die ganze Kette daran hing, und ließ sie dann wieder in die linke Hand gleiten.
    Diese Geste überzeugte Padway mehr als alles andere, daß er sich noch in Italien befand.
    So fragte er auf italienisch: „Können Sie
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