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Trugschluss

Trugschluss

Titel: Trugschluss
Autoren: M Bomm
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im Erdgeschoss befand. Auch hier keinerlei Farbe und kein
Schmuck an den Wänden. Dem Kriminalisten fielen jedoch armdicke Kabelpakete an
den oberen Wandecken auf. Sie führten durchs Treppenhaus nach oben, vermutlich
zu dem Antennengewirr auf dem Flachdach, und verschwanden hier unten in der
Mitte des langen Ganges rechts in der Wand. Häberle leuchtete den Verlauf ab
und erklärte seinen Begleitern: »Seht euch das an. Da drin muss sich was
abspielen.« Sie lauschten. Stille. Geradezu tödliche Stille, dachte Brobeil und
spürte, wie er zitterte.
    Häberle eilte wieder voraus, jetzt wild
entschlossen, dem jahrelang gehüteten Geheimnis auf die Spur zu kommen. Vor der
Tür, über der das Kabelpaket in die Wand mündete, nahm er wieder sein
Taschentuch und drückte auf die Klinke. Die Tür gab nach und er stieß sie nach
innen. Für einen Augenblick blieben die vier Personen dicht aneinander gedrängt
stehen. Der Kriminalist leuchtete mit seinem dünnen Lampenstrahl Stück für
Stück den Raum ab. »Das ist ja nicht zu fassen«, entfuhr es Blühm.
    »Da haben sie’s also getan«, stellte
Brobeil fassungslos fest.
    Doch den vier Personen blieb keine Zeit,
sich um Details zu kümmern. Denn da war plötzlich ein Geräusch. So laut und
deutlich, dass sie sich nicht irren konnten. Sie zuckten zusammen, Häberle
löschte die Lampe. Kein Zweifel. Es waren Schritte. Schritte, die das
Treppenhaus abwärts hallten. Die vier wagten kaum noch zu atmen.
     
    Linkohr war einigermaßen beunruhigt. Eigentlich ging es ihn ja
nichts an, was mit Häberle geschah. Aber inzwischen verbanden sie einige
größere Fälle – und außerdem hielt er ihn für den fähigsten Kriminalisten weit
und breit. Aber wenn er jetzt irgendeine Dummheit machte, dazu noch im Ausland
und ohne offiziellen Auftrag, dann konnte die Karriere ein abruptes Ende
nehmen. Er hatte eigentlich mit einer Bekannten im Geislinger Kulturzentrum
›Rätsche‹ das Kabarett ›Gibt’s ein Leben über 40?‹ sehen wollen, doch dann
hatte sie angerufen und tausend Ausreden gehabt, weshalb sie an diesem Abend
keine Lust zum Ausgehen habe. Typisch Frauen, dachte Linkohr enttäuscht. Dabei
hatte er sich so sehr auf das Mädchen gefreut. Allein wollte er nicht weggehen
– deshalb saß er in seiner Bude in einem Terrassenhaus, das sich an einen der
Hänge des Geislinger Talkessels schmiegte. Er blickte über die beleuchtete
Stadt hinweg, hinüber zum Ödenturm, der an der dortigen Bergkante in gelbes
Scheinwerferlicht gehüllt war.
    Linkohr blätterte in seinem Einstein-Buch.
Zwar laienhaft verständlich, dachte er, aber trotzdem schwer zu begreifen –
dass sich der Raum unter dem Einfluss von Massen verbiegen kann. Oder dass Zeit
unterschiedlich schnell verstreicht. Der Mann war ein begnadetes Genie, keine
Frage. Über sein Leben hatte Linkohr heute auf einer Sonderseite der »Südwest
Presse« lesen können, von der auch die  ›Geislinger Zeitung‹ ihren
überregionalen Teil bezog.
    Der junge Kriminalist war davon überzeugt,
dass hinter Einsteins Theorien noch weitaus mehr steckte, als es die aktuelle
Wissenschaft für möglich hielt. Vielleicht bedurfte es auch nur eines neuen
großen Denkers vom Kaliber eines Einsteins, um dessen Theorien weiterzuspinnen,
hin zu noch fantastischeren Welten. Aber vielleicht brachte die Menschheit nur
dann neue Genies hervor, wenn die Zeit dafür reif war.
    Linkohr schaute auf die Uhr. Es war kurz
vor halb elf. Seit einer Stunde ließ ihn das Bedürfnis nicht mehr los, Häberle
auf dem Handy anzurufen.
    Wenn er es tun wollte, musste er es jetzt
tun, dachte er und holte sich aus der Jacke, die in der Diele hing, das
Notizbuch. Dort hatte er die Handy-Nummer notiert, die er nun wählte, auf dem
knallroten Sofa sitzend und den Blick durch die Scheibe der Terrassentür auf
den Ödenturm gerichtet. Es dauerte ein paar Sekunden, bis der Empfänger
gefunden war und das Freizeichen ertönte. Fünf-, sechsmal. Viel zu lange wie
Linkohr befand.
    Vielleicht war Häberle bereits in die Koje
seines Wohnmobils gekrochen, doch auch dann, das wusste der junge Kriminalist,
schaltete er das Gerät nie ab.
     
    Die Schritte näherten sich. In Häberles Kopf dröhnten tausend
Möglichkeiten durcheinander. Doch dann kam alles anders – noch schlimmer, als
er es sich ausgemalt hatte. Plötzlich, unerbittlich, schrill und laut, begann
das Handy, das er in der Innentasche seiner Jacke bei sich trug, seine wohl
bekannte Melodie zu spielen. Er hatte vergessen,
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