Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trümmermörder

Trümmermörder

Titel: Trümmermörder
Autoren: C Rademacher
Vom Netzwerk:
die Fensterhöhlen. Überall Schatten, dunkle Flecken, Schwärze. Stave hält den Atem an. Kein Geräusch.
    Doch. Schritte, schleifend, als ziehe jemand etwas hinter sich her. Ein verletztes Bein? Eine schwere Last? Der Oberinspektor lauscht. Irgendwo in dieser Ruine bewegt sich der Mörder. Stave tastet im Mantel nach seiner Taschenlampe. Nichts. Ausgerechnet heute hat er sie nicht mitgenommen. Weil er dachte, er würde keine Leiche in den Trümmern finden, weil es endlich Frühling geworden ist und die Tage hell sind. Verfluchte Nachlässigkeit. Er blickt sich um, versucht im Dämmerlicht Details zu erkennen. Keine Decke im Haus, keine Innenwand mehr – wo kann der Angreifer sich verstecken? Was weißt du vom Trümmermörder? Er hat seine Opfer stets so tief abgelegt wie möglich: Keller, Fahrstuhlschacht, Bombentrichter.
    Keller.
    Stave schleicht ins Innere. Die turmhohen Wände scheinen zu zittern. Einbildung, sagt er sich. Mach dich nicht verrückt. Ein Knacken, irgendwo in den Steinen, Mörtel rieselt hinter ihm zu Boden. Ein Schritt, zwei Schritte, dann noch mehr. Fast im Zentrum der Ruine. Irgendwo Schritte, näher jetzt. Er hebt die Pistole.
    Da ist die Treppe. Sie führt in den Keller des Mehrfamilienhauses. Alles, was oberirdisch war, ist zerbombt worden. Aber die Treppe, halb unter Trümmern verborgen, senkt sich hinab. Der Keller mag intakt sein. Schritte. Jetzt glaubt Stave auch, Atemzüge zu hören. Keuchen. Wie nach Schmerz und Verletzung.
    Vollkommene Schwärze. Mit der Linken voraus tastet sich Stave in den Keller, in der erhobenen Rechten die FN 22. Ein Gang, schmal, aber offenbar sehr lang. Luftzug. Der Geschmack von Steinstaub auf den Lippen. Splittriges Holz. Stave tastet es ab: ein Stützpfeiler, mit Keilen passend zwischen Boden und Kellerdecke eingepasst. Notmaßnahmen, noch aus der Zeit der Bombenangriffe. Da haben Zwangsarbeiter auf Befehl des Gauleiters sofort nach Ende des Alarms mit Balken Keller stabilisiert und Mauern abgestützt. Hastige, lebensgefährliche Aufgaben. Das sollte große Ruinen vor dem Einsturz bewahren, damit man Verschüttete bergen konnte und die Feuerwehr durchkam.
    Er geht drei Schritte weiter. Ein Knick im Kellergang. Dahinter Helligkeit: ein Riss in der Decke, durch das silbrige Mondlichtschleier bis auf den Boden leuchten. Und auf dem Boden liegt eine Gestalt, gekrümmt.
    Lothar Maschke. Hans Herthge.
    Vorsichtig geht Stave auf ihn zu. Der Mann, der einmal sein Kollege war, liegt auf der Seite. Die rechte Hand drückt er auf seinen Unterleib. Blut quillt zwischen den Fingern hervor, breitet sich auf dem Ziegelboden aus, zäh wie Öl. Die Linke ist in den Staub verkrallt. Die Beine zittern.
    Bauchschuss, denkt Stave. Er muss höllische Schmerzen haben. Er wird sterben. Der Oberinspektor tritt näher, beugt sich vorsichtig hinunter, behält die Pistole in der Hand.
    Herthges Gesicht, schweißglänzend. Die Augen aufgerissen.
    »Verstehen Sie mich?«, fragt Stave.
    »Du gibst wohl nie Ruhe?« keucht Herthge zwischen zusammengepressten Zähnen. »Du willst mir beim Krepieren zusehen.«
    »Kein schöner Anblick«, erwidert Stave. Er hat kein Mitleid mit dem Mörder. Er fürchtet ihn, selbst jetzt noch, da er in seinem Blut liegt. Vielleicht hasst er ihn auch, doch Stave zwingt das Gefühl nieder, zwingt sich zu professioneller Neugier. Er will alles wissen über diese Morde – bevor es zu spät ist.
    »Verraten Sie mir, was ich noch nicht weiß«, bietet er Herthge an. »Dann gehe ich. Sie können hier alleine sterben. Ich schicke erst ein paar Kollegen vorbei, wenn Sie tot sind. Wenn Sie aber nicht reden, dann bleibe ich hier stehen und sehe zu. Und wenn es Stunden dauert.«
    »Der beste Handel meines Lebens«, flüstert Herthge und verzieht das Gesicht zu einer schrecklich grinsenden Grimasse.
    »Wie ist Ihnen Yvonne Delluc über den Weg gelaufen?«
    »Ich habe sie für eine Straßenschwalbe gehalten: jung, gut gekleidet, warf mit französischen Worten um sich«, presst der Sterbende hervor. »Die hatte ich noch nicht in meiner Kartei, also habe ich sie angehalten und überprüft.« Herthge ringt nach Luft, Schweißperlen glitzern auf seiner Stirn. »Tatsächlich wollte sie nur auf den Schwarzmarkt, irgendetwas verschanzen. Ich erkannte sie nicht – von Oradour. Sie aber hat mich identifiziert. Fängt plötzlich an, mir schreiend Vorwürfe zu machen, mich Mörder zu nennen. Hat gedroht, mich anzuzeigen. Zum Glück sprach sie nur Französisch. Das verstand
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher