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Trümmermörder

Trümmermörder

Titel: Trümmermörder
Autoren: C Rademacher
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dann ist der Tausch vollzogen. Die Frau entfernt sich rasch, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    »War es ein gutes Geschäft?«
    Stave fährt erschrocken herum, denkt sich im Sekundenbruchteil schon eine wirre Entschuldigung aus, falls ihn ein Kollege gestellt haben sollte. Doch dann hält er verblüfft den Atem an.
    Anna von Veckinhausen.
    Stave spürt, wie ihm die Röte ins Gesicht schießt. Alles, was ihm einfällt zu sagen, würde dumm klingen, also sucht er verzweifelt nach den richtigen Worten.
    Sie kommt ihm zuvor und deutet auf das Paar Schuhe. »Die würde ich unter dem Mantel verstecken«, rät sie, »sonst hält Sie jeder Schupo in fünfhundert Metern Umkreis an. Falls wir allerdings in eine Razzia geraten, nützt das auch nichts – dann schnell fallen lassen und dummstellen.«
    »Letzteres übe ich gerade«, murmelt der Oberinspektor, lässt aber rasch seine Beute verschwinden.
    »Für Sie? Der Winter ist doch endlich vorüber.«
    »Für meinen Sohn. In Sibirien, da bleibt es noch eine Weile kalt.«
    Anna von Veckinhausen lächelt nicht mehr. »Er ist in russischer Gefangenschaft.« Keine Frage, eine Feststellung. »Das muss schlimm sein für Sie als Vater.«
    »Ehrlich gesagt: nein«, antwortet der Oberinspektor. »Bis vor vier Wochen wusste ich nicht einmal, ob mein Sohn noch lebt. Insofern ist ein Lager in Sibirien bereits eine gute Nachricht.«
    »Was ist bloß aus uns geworden, dass uns selbst solche Neuigkeiten glücklich machen«, flüstert sie. Dann hakt sie sich bei ihm unter. »Tun Sie mir den Gefallen und gehen Sie eine Weile mit mir spazieren?«
    Stave ist verwirrt, nickt, geht los, steifer noch als sonst. Zugleich fühlt er sich unsicher wie ein Vierzehnjähriger. Annas Hand liegt auf seinem Unterarm, nur ihre Jacken- und Pulloverärmel trennen Haut von Haut. So nah ist er einer Frau schon seit Jahren nicht mehr gewesen.
    »Welches Geschäft führt Sie auf den Hansaplatz?«, fragt er.
    »Das Übliche: eine Verabredung mit einem britischen Offizier am Bahnhof. Ich habe eine passable Kopie von Caspar David Friedrichs ›Mönch am Meer‹ geborgen. Schauderhafter Rahmen, pseudo-barock und vergoldet, vielfach abgeplatzt. Doch das Bild selbst ist in Öl und offenbar von jemandem gemalt, der sein Handwerk verstand.«
    »Ein gutes Geschäft?«
    Sie lächelt, sagt aber nichts.
    Stave fragt sich, ob sie dem Briten die Kopie als Original verkauft hat. Amerikanische Offiziere, so munkelt man, sind so ahnungslos, dass sie jeden Schrott erstehen. Aber Engländer? Er hakt nicht nach. Sonst hält sie mich wieder für den typischen Polizisten, sagt er sich. Laut schlägt er vor: »Wollen wir uns einige Bilder von Friedrich im Original ansehen? Was halten Sie von einem Bummel durch die Kunsthalle?«
    Es sind nur ein paar Minuten Fußweg, am Hauptbahnhof vorbei, wo drei Züge mit rauchenden Schloten an den Gleisen warten.
    »Es muss wieder Kohle geben«, sagt Stave. »Ich weiß gar nicht mehr, wann ich zuletzt mehr als einen Zug im Bahnhof gesehen habe.«
    »Dann wird bald auch an die Häuser Kohle geliefert. Ich schätze, dass wir im Sommer wieder heizen können«, antwortet Anna von Veckinhausen. Dann lächelt sie. »Ich wollte nicht sarkastisch sein. Jeder tut, was er kann.«
    Hinter dem Bahnhof wenden sie sich nach rechts, zweihundert Meter vor ihnen ragt die Kunsthalle auf. Ein grauer Kasten mit einer kuppelgekrönten Rotunde im Zentrum – wie eine riesige Pistolenkugel, die in einem Stück Speck stecken geblieben ist. Die wuchtige Fassade des alten Museums ist schmutzig, doch fast unbeschädigt. Ein paar Narben von Bombensplittern, Rauchschlieren am Sims. Vor der Rotunde steht ein uralter, knotiger Ahorn, der Stamm dicker als die Säulen der Fassade.
    »Unglaublich, dass dem Baum nichts passiert ist«, murmelt Stave.
    »Manche kommen durch, das gilt sogar für Pflanzen.«
    Im Schatten des Ahorns steht eine hohe Bronzeskulptur: ein Reiter auf einem Pferd, der Mann nackt bis auf einen antikisierenden Helm. »Reiter«, liest Stave von der Plakette am Sockel. »Darauf wäre ich nicht gekommen.«
    »Noch ein Wunder«, erwidert Anna von Veckinhausen. »Die Figur ist nicht eingeschmolzen worden.«
    »Hat wohl einem Nazi gefallen. Zumindest mehr als die Kirchenglocken. Die sind fast alle in Granatenhülsen verwandelt worden.«
    Stave löst zwei Eintrittskarten, seine Begleiterin nickt ihm dankbar zu.
    »Woher wussten Sie, dass die Kunsthalle wieder geöffnet ist?«
    »Wusste ich nicht. Glück gehabt«,
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