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Trümmermörder

Trümmermörder

Titel: Trümmermörder
Autoren: C Rademacher
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Dellucs seit 1945 versucht, ins Heilige Land zu kommen. Die Briten lassen aber keine Juden herein, wie Sie wissen.«
    Stave erinnert sich an das, was ihm Thérèse DuBois erzählt hat. »Deshalb haben sie es von der britischen Besatzungszone aus versucht. Weil hier die Kontrollen für Reisen nach Palästina weniger scharf sind.«
    »Der Hafen ist schwer zerstört. Selbst die Briten sind froh, wenn Frachter ihre Ladung halbwegs ordentlich löschen oder aufnehmen können. Das ist lebenswichtig für die Besatzungszone. Wer kontrolliert da alle Schiffspapiere? Wer prüft wirklich nach, ob ein Dampfer, der kostbaren Weizen angeliefert hat, anschließend tatsächlich nach Zypern fährt? Oder nicht vielleicht etwas weiter östlich einen Hafen anläuft? Ein langer Weg, um ins Gelobte Land zu kommen. Aber nach allem, was Juden in den letzten Jahren mitgemacht haben, ist es das Risiko wert: Immer wieder werden sie an Bord von Schiffen geschmuggelt, die nach Palästina abgehen. DPs. Und Juden, die erst nach 1945 eingereist sind.«
    »Wie die Dellucs.«
    »Ja. Ihr Unglück war, dass sie zu spät kamen: Ende November 1946 verschwanden sie aus Frankreich. Da fror die Elbe gerade zu, die Kohlen wurden knapp. Kein Schiff fuhr mehr ab. Sie saßen fest. Sicherlich warteten sie hier darauf, dass die Temperaturen wieder stiegen und sie sich auf die Flucht machen konnten. Sie ahnten nicht, dass sie hier für Wochen blockiert sein würden. Und sie ahnten nicht, dass sie den Weg eines Mörders von Oradour kreuzen würden.«
    »Wo mag Herthge jetzt sein?«
    Ehrlich hebt die Hände. »Irgendwie hat er mitbekommen, dass wir ihm auf der Fährte sind. Vielleicht weiß er nichts Genaues, doch er ist vorsichtig und ist verschwunden, nachdem Sie ihn nach Norddeutschland geschickt haben. Eine so günstige Gelegenheit wird es für ihn nicht wieder geben.
    Nachdem wir ihn zur Fahndung ausgeschrieben haben, werden wir selbstverständlich einen Beamten zu seiner Mutter schicken. Aber ich glaube nicht, dass er so dumm ist, sich ausgerechnet dort zu verstecken. Vielleicht ist er auf dem Weg nach Südamerika? Argentinien, Chile, Paraguay: Es ist kein Geheimnis mehr, dass dort Nazi-Kolonien entstanden sind.«
    »Wird schwer sein, sich von Norddeutschland aus bis nach Südamerika durchzuschlagen. Selbst wenn ihm alte Kameraden helfen sollten.«
    »Der einzige Hafen weit und breit, von dem aus Schiffe bis nach Lateinamerika abgehen, ist der von Hamburg. Das Eis wird schmelzen. In ein, zwei Wochen mögen die ersten Dampfer wieder ablegen.«
    »Sie glauben, dass er sich so lange hier versteckt?«
    »Er kennt sich in den Trümmern aus, das hat er bewiesen. Nun, da es warm wird, fällt es ihm zudem leichter, sich durchzuschlagen.«
    »Vielleicht schlüpft er bei einem leichten Mädchen unter. Oder bei einem Luden. Genügend Kontakte hat er ja.«
    »Oder bei einem alten Kameraden. Genügend SS-Männer laufen immer noch frei herum.«
    »Ich lasse Fahndungsplakate drucken«, sagt der Oberinspektor und erhebt sich vom Stuhl. »Das wird bei uns Krimsches einigen Wirbel verursachen, dass wir nach einem von uns suchen müssen. Trotzdem sehe ich lieber Herthges Visage auf einem Fahndungsplakat als das Foto eines erwürgten Mädchens.«
    Ehrlich schüttelt ihm zum Abschied die Hand. Eine Geste, die er, wie Stave auffällt, bislang vermieden hat.
    »Wir sollten gelegentlich einmal essen gehen«, sagt der Staatsanwalt.
    Stave verlässt Ehrlichs Dienstzimmer. Schweigend geht Stave die kurze Strecke bis zur Kripo-Zentrale und betritt sein Büro, das ihm noch kleiner und stiller vorkommt als sonst, aber irgendwie glänzender.
    Auf seinem Schreibtisch liegt ein großer, heller Umschlag, gestempelt vom Roten Kreuz.

Das Leben geht weiter
    Stave starrt den Umschlag an, plötzlich gelähmt. Er muss sich überwinden, die letzten zwei Schritte bis zum Schreibtisch zu gehen, die Hände auszustrecken, den Brief zu nehmen. Er reißt das Kuvert auf. Seine Finger zittern. Im Umschlag steckt ein zweiter: viel kleiner, graues, hartes Papier wie billigstes Toilettenpapier. Als Adressat sein Name und als Adresse die Kripo-Zentrale. In der Handschrift seines Sohnes.
    Stave lässt sich auf den Stuhl fallen, er starrt aus dem Fenster, dann wieder auf den Brief. Karl lebt! Und doch fürchtet er sich: Was wird er schreiben?
    Endlich rafft er sich auf, auch diesen Umschlag aufzutrennen, langsam, als öffne er einen Schatz. Ein kleines Blatt, nicht mal Schreibheftgröße, am unteren Rand gerissen,
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