Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trügerischer Friede

Trügerischer Friede

Titel: Trügerischer Friede
Autoren: Markus Heitz
Vom Netzwerk:
herablassende Verhalten einer Kabcara, wie es Lodriks Frau Aljascha gezeigt hatte, war ihr fremd. Ihr Vater, einer der wenigen tarpolischen Brojaken von guter Gesinnung, hatte sie ohne jegliche Überheblichkeit und dazu zur Gerechtigkeit erzogen. Kein Wunder, dass sie sich mit ihrer Gesinnung Feinde bei jenen machte, die allein auf ihre eigenen Vorteile bedacht waren. Mehr als einmal wünschte sie sich, ihren Vater an ihrer Seite zu haben. Gegen seinen Rat hätte sie gegenwärtig nichts einzuwenden gehabt. Endlich durchschritt sie das schmiedeeiserne Tor vor ihrem Haus. Auf eigenen Wunsch hin wohnte sie noch nicht in dem burgähnlich befestigten Palast der Bardric-Dynastie; ihn wollte sie erst mit ihrer Krönung beziehen. Sie ging die Marmortreppe hinauf und suchte das kleine, gemütliche Teezimmer auf, in dem sie Lodrik vermutete.
    Als sie die Tür öffnete, bemerkte sie den modrigen Geruch. Es war eine Mischung aus alten, vergilbten Vorhängen und in die Jahre gekommenen Büchern; drückend hing er im Raum, obwohl die Türgroßen Fenster offen standen und warme Sommerluft hereinwehte.
    Es war nicht die Einrichtung, welche den Dunst des Verfalls verbreitete, sondern der einstige Kabcar von Tarpol, der
    9
    mit dem Rücken zu ihr im Schatten stand, streng darauf bedacht, nicht in den honigfarbenen Sonnenschein zu treten. Er trug seine nachtblaue Robe, die bis zu Taille eng am Körper anlag und zum Saum hin wie ein Gehrock schwang. »Lodrik?«
    »Das Herz meines ehemaligen Reiches schlägt wieder.« Lodriks blaue Augen schauten melancholisch hinaus auf die bevölkerten Straßen, die neuen Dächer, das blühende Leben, welches befreit in Ulsar wuchs und gedieh. Weil er die Arme auf dem Rücken verschränkt hielt, sah Norina, dass er in ihrer Gegenwart schwarze Handschuhe trug. Das war neu. »Ich danke den Göttern, dass Govan besiegt wurde.« Er wandte ihr sein hageres Gesicht zu und lächelte. Selbst das wirkte traurig. »Du warst lange fort.«
    Norina ging zu ihm und schloss ihn in die Arme, und dabei bemerkte sie, dass sein Leib dürrer und fleischloser geworden war. »Es gibt viel zu tun.« Ihr Blick wanderte vorwurfsvoll zum Tisch, auf dem sein Mahl unangetastet stand. »Du musst mehr essen, Lodrik.« Prüfend fuhr sie mit den Fingern über den Stoff der schweren Robe. Darunter waren nur Haut und Knochen. Er lachte leise, seine Stimme klang tief wie ein Keller und schwer wie Eisen. »Wie sehr hatte ich mir in meiner Kindheit gewünscht, diesen Satz zu hören.« Er fuhr ihr mit der Rechten über das Haar, streichelte ihre Wange und küsste behutsam die kleine Narbe an ihrer Schläfe. Seine Lippen waren eisig kalt. »Was haben dir deine Untertanen gesagt? Dass sie dich lieben und verehren, wie du es verdient hast?«
    Norina umschlang ihn und überraschte sich dabei, dass sie auf den Schlag seines Herzens lauschte, um sicherzugehen, einen lebenden Menschen und keinen Toten in den Armen zu haben. Ihr Gefühl für ihn war stark und überwand die Aura des Unheimlichen, die ihn umgab und Mensch und
    Tier dazu brachte, vor ihm zurückzuweichen; außer ihr gelang es nur seinem Sohn Krutor und seinen unerschütterlichen Freunden Stoiko und Waljakov, länger in seiner Nähe auszuharren. Die Furcht erregenden Schwingungen schienen selbst durch Wände zu dringen und verbreiteten in den
    Nachbarräumen Unbehagen, ja sogar Beklemmung. Sie nahm seine Hände und hob sie leicht an. »Seit wann
    trägst du diese Handschuhe?«
    Lodrik wächsernes Gesicht wurde verschlossen. »Meine Nägel und Finger sind kein schöner Anblick. Sie sind dünn und knöchern geworden; ein Raubvogel könnte keine besseren Klauen haben. Also verberge ich sie vor dir.« Er blickte an ihr vorbei, starrte auf den Spiegel und sein Abbild darin, sah das strohige Haar, das immer schütterer wurde, die Adern, die bläulich durch die blasse Haut schimmerten. »Du wirst durch meinen Anblick schon genug geprüft. Ich betrachte es als ein Wunder, dass du mich dennoch geehelicht hast.«
    Norina kannte die niederschmetternden Reden ihres Gatten nur zu gut. Er hielt sie gern, badete sein Gemüt in Selbstmitleid und ständigen Vorwürfen. »Hör auf damit«, lautete ihr Ratschlag, während sie seine Hände drückte. »Hilf mir lieber bei den Vorbereitungen für das Treffen mit den Brojaken und Adligen.«
    »Du brauchst meine Empfehlungen nicht. Du warst schon immer weiser als ich.« Lodrik schob sie sanft von sich, setzte sich in den Sessel am Fenster und schob den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher