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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere
Autoren: Scarlett Thomas
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stammt aus »Erewhon«. Aber das vegetarische Restaurant ist aus Conan Doyles »Die Liga der Rothaarigen«. Auf der anderen Straßenseite sind Geschäfte, deren Schilder genauso extravagant gestaltet sind, aber es sind Häuser, die ich nicht erkenne. Es gibt einen Eisenwarenhändler, einen Juwelier, eine Bank, einen Tabakwarenladen und eine Buchhandlung. Etwas weiter entfernt liegt auf der fiktionalen Straßenseite ein Pub, der auf der Konsole genauso aufleuchtet wie die Mauselöcher von Apollo Smintheus und all die verschiedenen Cafés. Bisher hatte ich in der Troposphäre noch keinen Pub gesehen.
    Ich weise Adam darauf hin.
    »Sollen wir eine Pause machen, bevor wir uns um Lumas kümmern?«, frage ich.
    Er zuckt mit den Schultern. »Okay.«
    Aber ich schinde aus einem bestimmten Grund Zeit, und ich glaube, er kennt den Grund. Sobald ich Lumas überzeuge, »The End of Mister Y« nicht zu schreiben, wird sich alles ändern. Und ich bin mir nicht mal sicher, ob ich Lumas umstimmen will.
    Der Pub unterscheidet sich nicht sonderlich von den Spelunken, die ich als Studentin in Oxford frequentierte, und nicht mal von Kneipen, in die ich sonntagnachmittags in London ging. Er ist flaschengrün und braun eingerichtet, verfügt über einen langen geschwungenen Holztresen sowie grüne Plüschsitzpolster. Alles wirkt vertraut, außer dass es Petroleumlampen statt elektrischer gibt und die Tische gründlicher poliert zu sein scheinen. Es steht niemand hinter der Theke, und es sind keine Gäste da, obwohl auf einem der Tische halbvolle Gläser neben einer Schachtel Streichhölzer, einem Kartenspiel und einem Papierstapel stehen, der aussieht wie ein Buchmanuskript. Was hat das zu bedeuten?
    Adam und ich setzen uns an einen Ecktisch.
    »Wenn wir an Alkohol denken, glaubst du, dass dann gleich welcher auftaucht?«, fragt Adam.
    »Probieren wir's aus«, sage ich.
    Ein paar Minuten später stehen eine kleine Flasche Wodka und zwei Gläser auf dem Tisch.
    »Hast du an Wodka gedacht?«, fragt Adam.
    »Ja«, antworte ich. »Und du?«
    »Auch. Wodka ist mein Schock-Getränk.«
    Ich lache. »Meins auch. Ich dachte, deines wäre Messwein.«
    »Nein. Danach habe ich Wodka entdeckt. Das ist der einzige Schnaps, den mein Vater sich zu trinken weigerte, und das verleiht ihm einen besonderen Reiz.«
    »Ja.« Ich nicke und schaue auf den Tisch.
    »Dann mache ich die Flasche mal auf«, sagt er. Er nimmt sie in die Hand. »Au, ist die kalt.«
    »Gut«, sage ich.
    Er schenkt ein. Als ich mein Glas an die Lippen führe, stelle ich fest, dass der Wodka nach Bisongras riecht, meine Lieblingssorte. Ich kippe ihn mit einem Schluck hinunter. Ich versuche, die Mäuse wegzutrinken, und ich versuche wegzutrinken, was mit Adam passiert ist, und am allermeisten versuche ich die Verantwortung dafür wegzutrinken, dass ich hier bin und in der Lage, Dinge zu ändern. Ich bin mir nicht sicher, ob Troposphärenalkohol tatsächlich betrunken macht. Allerdings fühle ich mich ein bisschen entspannter. Ich gieße mir noch ein Glas ein und trinke langsam davon, während Adam noch an seinem ersten nippt.
    »Ich halte das nicht aus«, sage ich.
    »Ariel?«, sagt er. Er greift über den Tisch nach meiner Hand. »Was ist los?«
    Ich seufze, als ob alle Luft aus meinem Körper entweicht. »Kannst du es nicht sehen?«
    »Was sehen?«
    »Die Mäuse … Was wir gerade für die Mäuse getan haben. Wir sollten das für alle Sachen tun. Wir könnten den Holocaust verhindern. Wir könnten die Erfindung der Atombombe verhindern. Wir könnten …«
    »Ariel.«
    »Was ist?«
    »Wir können nicht die ganze Welt redigieren. Wir können sie nicht einfach umschreiben, als wäre sie der Entwurf eines Buchs, mit dem wir nicht glücklich sind.«
    »Warum nicht?«
    »Na ja, bist du nicht deshalb hier, um genau diese Möglichkeit zu verhindern? Lura und Burlem haben dich hergeschickt, damit das Buch verschwindet, damit die Menschen keine Möglichkeit haben, das zu tun. Das ist wichtig. Es ist wichtig, dass Menschen die Geschichte nicht ändern können.«
    »Ich weiß. Deswegen bin ich so unsicher, was das Umstimmen von Lumas angeht.« Ich trinke noch einen Schluck Wodka. Erstaunlicherweise wirkt er, und das sirupartige Gefühl wird stärker, je mehr ich davon trinke. »Ich meine, wer hat mich zu Gott gemacht? Ich dürfte keine dieser Entscheidungen treffen. Aber da man mich in diese Position gebracht hat und ich tatsächlich die Entscheidung treffen kann, will ich Hitler
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