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Tricks

Tricks

Titel: Tricks
Autoren: Alice Munro
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wieder gemeldet (sie nahm an, dass er die Tbc meinte), und ihm war klargeworden, dass er die völlig falschen Dinge tat, also änderte er sich. Das war jetzt etliche Jahre her. Er ging bei einem Bootsbauer in die Lehre. Dann tat er sich mit einem Mann zusammen, der Hochseefischerei betrieb. Er kümmerte sich um die Boote eines Multimillionärs. Das war in Oregon. Er arbeitete sich wieder nach Kanada hoch, und er trieb sich eine Weile lang hier – in Vancouver – herum und legte sich ein Stück Land auf Sechelt zu – im Hafengebiet, als es noch billig war. Er machte einen Kajakladen auf. Bauen, verleihen, verkaufen, Unterricht geben. Dann kam eine Zeit, da wurde ihm Sechelt allmählich zu überlaufen, also überließ er einem Freund sein Land praktisch umsonst. Er selbst war der Einzige, den er kannte, der mit Land auf Sechelt kein Geld gemacht hatte.
    »Aber mein Leben dreht sich nicht ums Geld«, sagte er.
    Er hörte von Land, das es auf Texada Island zu kaufen gab. Und jetzt rührte er sich nicht mehr oft von dort weg. Für seinen Lebensunterhalt tat er dies und jenes. Immer noch ein kleiner Kajakladen und etwas Fischfang. Er verdingte sich als Handwerker, als Maurer, als Schreiner.
    »Ich komme zurecht«, sagte er.
    Er beschrieb ihr das Haus, das er für sich selbst gebaut hatte, von außen eine Bretterbude, aber innen wunderbar, jedenfalls für ihn. Ein Schlafplatz auf dem Dachboden mit einem kleinen runden Fenster. Alles, was er brauchte, stets griffbereit, nichts in Schränken. Ein paar Schritte vom Haus entfernt hatte er eine Badewanne in die Erde eingelassen, mitten in einem Beet mit duftenden Kräutern. Er trug eimerweise heißes Wasser hin und aalte sich dann darin, unter den Sternen, sogar im Winter.
    Er baute Gemüse an und teilte es sich mit den Rehen.
    Während er ihr das erzählte, hatte Nancy die ganze Zeit über ein ungutes Gefühl. Es war nicht Unglaube – trotz des einen schwerwiegenden Widerspruchs. Es war mehr ein Gefühl zunehmender Verwirrung, dann Enttäuschung. Er redete so, wie etliche Männer redeten. (Zum Beispiel ein Mann, mit dem sie auf dem Kreuzfahrtschiff einige Zeit verbracht hatte – wo sie nicht so durchgehend reserviert, so ungesellig gewesen war, wie sie Ollie hatte glauben machen.) Viele Männer wussten über das Wann und Wo hinaus kein Wort über ihr Leben zu sagen. Aber es gab andere, heutigere, die beiläufig klingende, doch eingeübte Reden hielten, mit der Aussage, dass das Leben wahrhaftig eine holperige Straße war, aber Unglücksfälle hatten den Weg zu Besserem gewiesen, Lektionen waren gelernt worden, und zweifellos war des Morgens eitel Freude.
    Sie hatte nichts dagegen, dass andere Männer so redeten – meistens gelang es ihr, solange an etwas anderes zu denken –, aber als Ollie es tat, über den wackeligen kleinen Tisch und den Holzteller mit den erschreckenden Fischstücken gebeugt, breitete sich in ihr Traurigkeit aus.
    Er war nicht mehr derselbe. Er war wirklich nicht mehr derselbe.
    Und was war mit ihr? Das Problem bestand eben darin, dass sie durchaus noch dieselbe war. Beim Erzählen von der Kreuzfahrt war sie in Hochstimmung geraten – sie genoss es, sich selbst zuzuhören, der Beschreibung, die aus ihr herausströmte. Nicht, dass sie früher wirklich so mit Ollie geredet hatte – eher hätte sie gerne so mit ihm geredet und hatte es im Geiste auch manchmal getan, nachdem er fortgegangen war. (Natürlich erst, nachdem sie ihren Ärger über ihn heruntergeschluckt hatte.) Immer wieder einmal geschah etwas, das bei ihr den Wunsch auslöste, es Ollie zu erzählen. Wenn sie mit anderen Leuten so redete, wie sie eigentlich wollte, ging sie manchmal zu weit. Sie konnte ihnen ansehen, was sie dachten.
Sarkastisch
oder
überkritisch
oder sogar
verbittert
. Wilf gebrauchte diese Worte nicht, aber vielleicht dachte er sie. Nancy war sich nie sicher. Ginny lächelte, aber nicht so, wie sie früher gelächelt hatte. In ihren unverheirateten mittleren Jahren war sie heimlichtuerisch, sanft und mildtätig geworden. (Das Geheimnis kam kurz vor ihrem Tod heraus, als sie zugab, Buddhistin geworden zu sein.)
    Also hatte Nancy Ollie sehr vermisst, ohne je dahinterzukommen, was sie eigentlich vermisste. Etwas Schwieriges, Störendes, was in ihm brannte wie ein leichtes Fieber, etwas, an das sie nicht herankommen konnte. Die Dinge, die ihr in der kurzen Zeit ihrer Bekanntschaft mit ihm so auf die Nerven gegangen waren, stellten sich im Nachhinein als genau die Dinge
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