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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest
Autoren: Philipp Espen
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die Mittel für eine stichhaltige Diagnostik in früheren Zeiten ebenso fehlten, wie es uns heute an eindeutig verwertbaren Augenzeugenberichten für frühe Ausbrüche der Seuche mangelt, lässt sich nicht zweifelsfrei nachweisen, dass es sich bei den als Pest bezeichneten Epidemien, die uns bis zum späten Mittelalter überliefert sind, jeweils um einen Ausbruch der Krankheit handelt, die durch den heute bekannten Pesterreger, Yersinia pestis, verursacht wurden. Die Verwendung des Begriffs Pest allein ist kein hinreichendes Indiz, denn das Wort stammt aus dem Lateinischen und bedeutet nichts anderes als Seuche. Darüber hinaus steht es für Unglück, Verderben, verderbliche Person oder Sache, Scheusal, Unhold, Qual, Leiden und Hungersnot. Die klassischen Texte, von der Aeneis über die Ilias bis hin zur Bibel, bezeichnen daher alle großen Seuchen als Pest.
    Dennoch gilt der im Alten Testament überlieferte Bericht über eine Seuche in den Städten der Philister zahlreichen Historikern als frühestes Zeugnis für das Auftreten der so genannten Beulenpest, die gewöhnlich durch den Biss des Rattenflohs übertragen wird. Im ersten Buch Samuel wird geschildert, wie die Krankheit ausbricht, nachdem die Philister in der Schlacht bei Eben-Eser (um 1020 v. Chr.) die Bundeslade der Israeliten erobert und als Beute nach Aschdod geschafft hatten. »Hierauf«, so wird dort berichtet, »lag die Hand des Herrn schwer auf den Leuten von Aschdod, und er brachte Verderben über sie und schlug sie mit bösen Beulen.« Als man die Bundeslade nach Gath brachte, folgte ihr die Krankheit, ebenso kam sie schließlich in die Stadt Ekron. Die Philister waren dem Bericht zufolge davon überzeugt, dass sie mit der Krankheit die Strafe Gottes traf. Sie schickten die Bundeslade daher zu den Israeliten zurück, denn »die Leute, die nicht starben, wurden geschlagen mit Beulen, und das Geschrei der Stadt stieg auf gen Himmel«. Neben der Erwähnung der Beulen spricht noch ein weiteres Indiz für die These, dass es sich bei der beschriebenen Krankheit um die Beulenpest handelte: Als die Bundeslade zurückgesandt wurde, übergaben die Philister dem Herrn als Sühnegeschenk für ihren Frevel je fünf goldene Beulen und Mäuse. Schon hier wird die Seuche also mit Mäusen oder Ratten – das hebräische Wort ist in dieser Hinsicht ungenau – in Verbindung gebracht, was auf den uns heute bekannten Übertragungsweg des Pesterregers von der Ratte zum Menschen über den Rattenfloh verweist [1.Sam 5].
    Etwa 600 Jahre später hören wir aus dem antiken Europa vom Ausbruch einer epidemischen Krankheit, die als die so genannte Athener Pest in die Geschichte einging. Der griechische Geschichtsschreiber Thukydides berichtet in seinem Buch über den Peloponnesischen Krieg von den Folgen des Ausbruchs einer Seuche in Athen: Im Jahr 430 v. Chr. fielen die Spartaner in Attika ein und verwüsteten das Land. »Als sie erst wenige Tage in Attika standen«, schreibt Thukydides, »brach zum ersten Mal in Athen die Seuche aus; sie soll früher schon an vielen Orten, bei Lemnos und in anderen Gegenden, aufgetreten sein, aber nie wurde eine solche Pest, ein solches Massensterben, berichtet. Denn auch die Ärzte konnten zunächst nicht helfen, da sie in Unkenntnis (der Krankheitsursachen) behandeln mussten, ja sie selbst starben am meisten, da sie am meisten mit ihr in Berührung kamen; und jede andere menschliche Kunst versagte. Wie viel sie auch in den Tempeln beteten, Orakelsprüche und dergleichen mehr anwendeten – alles war nutzlos; schließlich gaben sie es auf und fügten sich in ihr Unglück« [Thukydides, Der Peloponnesische Krieg, II, 47 (3-4)]. Wie es weiter heißt, war die Krankheit zunächst in Afrika ausgebrochen, hatte anschließend Ägypten erreicht und sich dann auch in Persien ausgebreitet. In Athen war die Seuche im Hafenbezirk Piräus ausgebrochen und hatte dann auf die Innenstadt übergegriffen. Wie es auch beim schwarzen Tod im Mittelalter der Fall war, scheint die Krankheit also von Seeleuten oder Seereisenden eingeschleppt worden zu sein. Ihre Symptome schildert Thukydides sehr eindringlich: »Hatte aber jemand schon vorher eine Krankheit, so ging sie in dieses Leiden über. Die anderen aber befiel ohne irgendeinen Grund, ganz plötzlich bei voller Gesundheit, zuerst starke Hitze im Kopf, Röte und Entzündung der Augen; und innen, Schlund und Zunge, war alles gleich blutigrot, der ausströmende Atem war sonderbar und übel riechend. Dann
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