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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest
Autoren: Philipp Espen
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haben?«
    Henri winkte seinem Knappen zu. Die blonden Locken, die ihm in die Stirn hingen, wirkten wie leuchtende Farbtupfer vor seinem bleichen Gesicht. Mit hängenden Schultern steuerte er auf die Gefährten zu, und er begrüßte niemanden, als er an ihren Tisch trat. Joshua und Uthman bedachte er nicht einmal mit einem Blick.
    »Es ist aus«, sagte Sean. »Ich bin am Ende. Wie konnte das nur geschehen? Was für eine Sünde habe ich nur begangen?«
    »Langsam, mein Sean!« Henri packte seinen Knappen sanft an der Schulter und drückte ihn auf einen Schemel hinab. »Setz dich erst mal. Was ist passiert?«
    Sean griff gierig nach Henris Becher mit Holunderblütensaft und nahm einen kräftigen Schluck. Erstaunt blickte er die Gefährten an, seine Augen wanderten von einem zum anderen, als sähe er sie alle zum ersten Mal. Die Gefährten merkten, dass der Junge in Gedanken woanders war.
    »Ich befürchte das Schlimmste.«
    »Sprich nicht in Rätseln, Sean!«, tadelte Henri. »Hat Angélique dich abgewiesen?«
    »Dazu ist sie gar nicht mehr in der Lage.«
    »Sprich deutlicher!«
    »Angélique ist sehr krank«, sagte Sean. »Ich weiß nicht, was sie hat. Sie ist schwach und ganz bleich, sie liegt erschöpft in ihrem Bett, und ihr ganzer Körper glüht.«
    »Hm. Sie war wohl zu lange im Kalten, hier im Norden geht selbst im Frühling ein ungemütlicher Wind.«
    »Und unter den Achseln hat sie merkwürdige harte Knospen.«
    »Harte Knospen? Was meinst du damit?«, fragte Joshua verwirrt.
    »Angélique ist ganz weich. Weich und warm. Und ich liebe sie so sehr. Aber unter ihren Achseln bilden sich dunkle Knospen, die immer größer werden, und ich habe Angst davor, dass sie aufblühen.«
    »Sean«, sagte Henri. »Jetzt rede zu uns wie ein Mann. Was ist es, das Angélique unter ihren Achseln hat?«
    »Knoten. Feste, dunkle Stellen. Wenn man sie berührt, schreit Angélique vor Schmerz auf.«
    Die Gefährten schwiegen und blickten einander betroffen an. Jeder dachte an etwas anderes. Aber es war nichts Gutes.
    »Du hast diese Knoten selbst gesehen?«
    »Ja, Herr Henri. Ich habe sie sogar angefasst. Ich war sogar der Einzige, der sie anfassen durfte! Der Einzige, der sie überhaupt zu Gesicht bekam. Sie hat solche Angst!«
    Und das vielleicht zu Recht, dachte Henri bei sich. »Ist denn ein Medicus bei ihr?«
    »Nein«, gestand Sean.
    »Was ist mit ihrer Familie?«, wollte Henri wissen.
    »Ihr Vater ist ja vor Jahresfrist gestorben, und ihre Mutter und ihre Schwester Maufra sind seit vorgestern in Brest. Sie besuchen dort die Jahresmesse im Auftrag der Buchmaler. Jean-François, ihr neuer Geselle, begleitet sie. – Oh, es ist furchtbar! – Angélique hat ihre Herberge an der Ausfallstraße nach Brest aufgegeben und liegt im Haus ihrer Eltern in der Buchmalergasse. Sie ist ganz allein. Der Hausbesorger kümmert sich nur um die notwendigsten Dinge. Und deshalb sollte ich bei ihr sein. Aber ich hielt es an ihrem Lager nicht länger aus.«
    »Du bist weggelaufen?«
    »Ich konnte ihr nicht helfen! Es ist etwas Furchtbares im Gange, Herr Henri! Hilf ihr!«
    »Was soll ich tun? Ich bin kein Medicus.«
    »Aber wir müssen ihr helfen! Sie ist ganz allein in dem großen Haus!«
    »Ich werde den Stadtmedicus holen«, erbot sich Joshua. »Er soll nach dem Mädchen sehen.«
    Sean zog ein Tuch aus der Rocktasche, auf dessen weißem Untergrund das Antlitz Angéliques abgebildet war. Ihr Vater hatte dieses Kunstwerk einst gemalt und es Sean als Andenken an seine Tochter geschenkt.
    »Mir scheint, selbst dieses Bild sieht krank aus. Findet ihr nicht? Es ist seltsam. Auch hier scheint ihr Gesicht zu welken. Wirkt es nicht, als sitze der Schmerz darin?«
    »Du übertreibst, Sean! Das ist nicht möglich. Geh jetzt besser in dein Zimmer und versuche zu schlafen. Du bist viel zu erregt.«
    »Ich werde den Medicus suchen«, sagte Joshua.
    »Wir werden beide gehen«, schlug Henri vor. »Du suchst den Stadtmedicus, und ich gehe in die Buchmalergasse. Dort führt dieser Magister, der Sean damals nach dem Überfall versorgte, ein Hospiz. Priziac hieß er, glaube ich. Ihn werde ich zu Angélique bringen. Du, Joshua, versuchst, den Stadtmedicus ebenfalls dorthin zu lotsen, du kennst die Adresse.«
    »Gut, so machen wir es.«
    »Joshua, sei vorsichtig. Du weißt, warum.«
    »Ich weiß, was du denkst, Henri. Und ich hoffe, du täuschst dich.«
    »Das hoffe ich auch, Joshua.«
     
     
    Am Vortag hatte Henri Priester Rohan aufgesucht. Der mutige Mann hatte
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