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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest
Autoren: Philipp Espen
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verwilderten Haustieren.
    Ausbrüchen solch epidemischer Krankheiten wie der hier geschilderten – ganz gleich, ob es sich um eine Pest im heutigen Sinne oder um eine andere, sich rasch verbreitende Seuche handelte – waren die Menschen viele Jahrhunderte lang hilflos ausgeliefert, denn es gab keine Heilmittel, und über die Verbreitungswege von Krankheiten war nichts bekannt. Die Medizin der Antike stand einer Herausforderung gegenüber, die sie nicht bestehen konnte – ebenso wie die Medizin des Mittelalters, die sich stark auf antike Traditionen stützte.

 
    Muslime, Juden, Christen und die mittelalterliche Medizin
     
    Die mittelalterliche Medizin war eine direkte Fortsetzung der antiken Heilkunde. Jahrhundertelang waren die Autoren der Antike unantastbare Autoritäten, was sie in ihren medizinischen Schriften niedergelegt hatten, blieb auch für die folgenden Jahrhunderte verbindlich. Die dem griechischen Arzt Hippokrates zugeschriebenen Schriften – das Corpus Hippocraticum – und die über 400 Schriften des römischen Arztes Galen (129-210) bildeten die Grundlage für alle Theorien zur Entstehung und Behandlung von Krankheiten. Die alles beherrschende Doktrin der mittelalterlichen Medizin war die so genannte Viersäftelehre (Humoralpathologie). Sie wurde in der hippokratischen Schrift Über die Natur des Menschen zum ersten Mal festgehalten. Es heißt dort: »Der Körper hat in sich Blut und Schleim und gelbe Galle und schwarze Galle, und das ist die Natur seines Körpers, und dadurch hat er Schmerzen und ist gesund« [zit. n. Seidel/Leven, 2003, S. 45]. Zum bestimmenden Dogma wurde dieser Grundsatz allerdings erst durch Galen, der davon ausging, dass die Viersäftelehre für die Medizin des Hippokrates grundlegend gewesen sei, und der für Jahrhunderte zur nahezu unangefochtenen Autorität in Krankheitsfragen wurde. Das mag auf den ersten Blick verwundern, jedoch war Galen ein für seine Zeit recht fortschrittlicher Arzt – zum Beispiel bestimmte er in Tierversuchen die Funktion der Nerven und der inneren Organe –, was seinen lange währenden guten Ruf zumindest teilweise rechtfertigt. Allerdings kam Galen bei seinen Versuchen oft zu Ergebnissen, die nicht auf den Menschen übertragbar waren. Dass sich seine falschen Ansichten trotzdem jahrhundertelang behaupten konnten, lag vor allem daran, dass im Mittelalter zwar auch an menschlichen Leichen Sektionen vorgenommen wurden, man sich aber auf die antiken Autoritäten so sehr versteifte, dass man deren Behauptungen nicht kritisch überprüfte, sondern nur zu bestätigen suchte. Eine eigene Theoriebildung gab es daher auch nicht. Erst mit Beginn der Neuzeit waren einzelne Anatomen mutig genug, dem eigenen Augenschein mehr zu trauen als den Schriften der Autoritäten.
    In Europa hatte die Medizin – ebenso wie alle anderen Wissenschaften – mit dem Zerfall des Römischen Reichs einen Tiefpunkt erreicht, lediglich Bruchstücke des überlieferten Wissens konnten gerettet und bewahrt werden. In Byzanz hingegen überdauerte das Wissen der Antike die Spaltung des ehemaligen Großreichs nahezu unbeschadet – auch zum Nutzen der Araber.
    In den persisch-arabischen Raum gelangten die Kenntnisse der antiken Medizin schon im 5. Jahrhundert. Viele Anhänger des nestorianischen Christentums hatten das Byzantinische Reich – freiwillig oder unter Zwang – verlassen und sich in Persien angesiedelt. Unter den Vertriebenen waren auch Ärzte, die ihre Arbeit in der neuen Heimat fortsetzten. Sie begannen, die medizinischen Schriften der Antike ins Persische, Hebräische und Arabische zu übertragen. In direkten Kontakt mit der medizinischen Überlieferung der Antike kamen die Araber, als sie 640 Alexandria eroberten und die Reste der berühmten Bibliothek der Stadt in ihre Hände fielen. In der Folgezeit begann in den islamisch beherrschten Gebieten eine rege Übersetzungs- und Forschungstätigkeit, zu deren Zentren Damaskus, Kairo, Antiochia, Basra und Bagdad wurden. Wie anerkannt diese Tätigkeit war, zeigt sich daran, dass die Übersetzerschule von Bagdad von Kalif al-Mamun (Klf. 813-833) gefördert wurde.
    Zu einer ersten Blüte gelangte die auf den antiken Schriften basierende arabische Medizin im 10. Jahrhundert. Zu dieser Zeit sammelten die arabischen Ärzte vorrangig noch die antiken Schriften, übersetzten sie und versuchten, sie durch die Erstellung systematischer Übersichten zugänglich zu machen. Dabei lösten sie sich allerdings allmählich auch von
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