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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest
Autoren: Philipp Espen
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Wissens standen die Ärzte des Mittelalters – und zwar nicht nur die europäischen – dem Ausbruch der Pest nahezu hilflos gegenüber. Sie besaßen keine Mittel, um die Krankheit zu heilen oder eine Ansteckung zu verhindern. Vielmehr verstärkten die ihnen bekannten Heilmethoden oft noch den Fortschritt und die Ausbreitung der Krankheit. Der Aderlass beispielsweise – seit der Antike das Universalmittel, mit dem man sich einen Ausgleich zwischen den vermeintlich aus der Ordnung geratenen Körpersäften versprach – war keine geeignete Maßnahme gegen die Pest. Im Gegenteil: Die radikalen Blutentnahmen bedeuteten für den von der Krankheit bereits stark angegriffenen Organismus in der Regel eine nicht wieder gutzumachende Schwächung; viele Pestkranke werden durch diese Behandlungsmethode erst recht zu Tode gekommen sein. Der Umgang mit dem pestverseuchten Blut und den medizinischen Geräten bedeutete wiederum eine Gefahr für alle Gesunden. Es war üblich, das entnommene Blut in fließende Gewässer zu gießen und den zum Aderlass verwendeten Schnäpper ohne besondere Reinigung bei jedem neuen Patienten wieder zu verwenden. Nicht zuletzt aufgrund dieser mangelnden Hygiene infizierten sich die Ärzte wohl oft genug selbst mit der Pest.

 
    Die große Pest
     
    Mittelalterlichen Chroniken zufolge soll die Pest im Oktober 1347 zuerst in Messina ausgebrochen sein, wo sie von erkrankten Seeleuten eingeschleppt worden war. Doch woher war die Seuche gekommen? Heute geht man davon aus, dass sie irgendwann nach 1320 zunächst in der Mongolei und in der Wüste Gobi ausbrach, wo sie bis heute bei einheimischen Nagetieren auftritt. Von 1331 bis 1353 tobte die Pest dann in China, wo ihr etwa 65 Prozent der Bevölkerung zum Opfer gefallen sein sollen. Ihren Weg nach Westen fand sie allem Anschein nach über die nestorianischen Christengemeinden in Issykul am Balkaschsee; bei archäologischen Ausgrabungen des dortigen Friedhofs konnte für die Jahre 1338 und 1339 eine besonders hohe Sterblichkeitsrate nachgewiesen werden, wobei auf drei Grabsteinen die Pest als Todesursache direkt genannt wird. Sechs Jahre später hatte die Epidemie Sarai an der unteren Wolga und damit die Krim erreicht, ein weiteres Jahr später wütete sie in Aserbaidschan. Von der Krim aus machte die Pest den Sprung nach Europa. Übertragen wurde sie von den Kämpfern der Goldenen Horde, die seit 1346 die von den Genuesern gehaltene Hafenstadt Kaffa, das heutige Fedosia, unter ihrem Khan Djanibek belagerten. Den genauen Übertragungsweg schildert ein Augenzeugenbericht, der heute jedoch mehr und mehr angezweifelt wird, weil sich herausstellte, dass der vermeintliche Augenzeuge, der italienische Notar Gabriele de Mussis, niemals auf der Krim gewesen ist. Mussis berichtet, dass die Stadt, in der sich zahllose Flüchtlinge aus dem Umland drängten, völlig eingeschlossen war, als ganz plötzlich unter den Belagerern die Pest ausbrach. »Ihr ganzes Heer«, so Mussis, »geriet in Panik, und täglich starben Tausende. Den Eingeschlossenen erschien es, als ob Rachepfeile vom Himmel flögen, um den Übermut der Feinde zu zügeln.« Die Belagerer seien alsdann auf eine grausame Idee gekommen: »Als die nunmehr von Kampf und Pest geschwächten Tartaren bestürzt und völlig verblüfft zur Kenntnis nehmen mussten, dass ihre Zahl immer kleiner wurde […], banden sie die Leichen auf Wurfmaschinen und ließen sie in die Stadt Kaffa hineinkatapultieren« [zit. n. Bergdolt, 1995, S. 36], um so die Seuche in die Stadt zu tragen. Ob diese nun tatsächlich durch eine so frühe Form der biologischen Kriegführung weitergetragen wurde oder ob – wie so oft – Ratten, die unbemerkt in die belagerte Stadt eindrangen, den Erreger verbreiteten, sei dahingestellt. Fest steht, dass die Krankheit von Kaffa aus – wahrscheinlich durch Personen, die über den Seeweg aus dem Krisengebiet flüchteten – in den Mittelmeerraum gelangte. Konstantinopel, Alexandria und Zypern erreichte die Pest noch im gleichen Jahr wie Kaffa, ebenso wie die weiter im Westen gelegenen Städte Messina, Genua, Florenz, Pisa und Venedig. Da es sich hierbei um damals stark frequentierte Hafenstädte handelt, ist leicht nachzuvollziehen, dass das Eindringen der Pest in Europa zunächst auf dem Seeweg erfolgte. Aber schon im folgenden Jahr breitete sich der schwarze Tod auch im Binnenland aus. In Frankreich war Marseille die Einfallpforte, dann verbreitete sich die Seuche in Montpellier, Narbonne,
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