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Traveler - das Finale

Traveler - das Finale

Titel: Traveler - das Finale
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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schaute dann weg. Er war ein Musiker, weiter nichts, ein Schwarzer in einem schäbigen Mantel, der an irgendeiner Straßenecke spielen wollte.
    Als Hollis das Drehkreuz passierte, verrutschte das Gewehr im Koffer. Hollis fand die Londoner U-Bahn viel entspannter als die von New York City. Die Wagons waren kleiner, fast gemütlich, und beim Einfahren in den Bahnhof machten die Züge ein sanftes, rauschendes Geräusch.

    Hollis nahm die Northern Line bis zur Haltestelle Embankment, wo er auf die Circle Line umstieg. Er fuhr bis zur Station Temple, stieg aus, lief für eine Weile am Flussufer entlang und stieg dann die Treppe zur New Bridge Street hinauf. Es war acht Uhr abends; die meisten Pendler hatten Feierabend und befanden sich nun auf dem Weg ins traute Heim, wo der Fernseher auf sie wartete. Die Drohnen waren so fleißig wie immer – sie kehrten die Straßen, lackierten Zehnägel, lieferten bestelltes Essen aus. Ihre Gesichter verrieten Hunger und Erschöpfung und das erdrückende Verlangen, sich hinzulegen und zu schlafen. Die Reklametafel an einer Hausseite zeigte eine junge Blondine, die mit begeisterter Miene eine neue Sorte Vanillesoße aus einem Tetrapack löffelte. GLÜCKLICH?, fragte die Werbung, und Hollis musste lächeln. Nein, dachte er, glücklich nicht. Aber vielleicht bin ich gleich zufrieden.
     
    Während der letzten Monate war sein Leben auf den Kopf gestellt worden. Er hatte New York verlassen, war an die irische Westküste gereist und hatte Vicki Fraser auf Skellig Columba beerdigt. Eine Woche später war er in Berlin gewesen, um Mother Blessing aufzusammeln und aus dem unterirdischen Computerzentrum der Tabula zu tragen, während die Alarmanlage schrillte und Rauch über die Treppen kroch. Bis zum Eintreffen der Polizei war ihm gerade noch genug Zeit geblieben, um zwei Häuserblocks weit zu laufen und den toten Harlequin hinter einem Müllcontainer zu verstecken. Danach hatte er seine blutverschmierte Jacke ausgezogen und sich auf die Suche nach dem Fluchtauto gemacht, das sie in der Nähe von Ballhaus Mitte in der Auguststraße geparkt hatten.
    Stunden später kehrte er zur Leiche zurück und lud sie in den Kofferraum des Mercedes. Die Berliner Polizei hatte die Straßen rund um das Computerzentrum abgeriegelt, und Hollis konnte das Blaulicht der Feuerwehrautos und Krankenwagen
sehen. Irgendwann trudelte ein Reporter ein und holte sich die offizielle Story ab: IRRER TÖTET SECHS MENSCHEN  – POLIZEI FAHNDET NACH RACHSÜCHTIGEM ANGESTELLTEN.
    Hollis hatte Berlin noch vor Morgengrauen verlassen und legte erst an einem Rasthof nahe Magdeburg eine Pause ein. In einem kleinen Geschäft in der Gegend kaufte er eine Straßenkarte, eine Fleecedecke und einen Klappspaten. Er setzte sich in den Restaurantbereich, um unter den müden Augen der gähnenden Kellnerin schwarzen Kaffee zu trinken und Marmeladenbrote zu essen. Am liebsten hätte er sich auf die Rückbank des Mercedes gelegt und geschlafen, aber er musste Deutschland dringend verlassen. Die Suchmaschinen der Tabula waren längst dabei, das Internet zu durchforsten und sein Foto mit den Aufnahmen der zahllosen Überwachungskameras abzugleichen. Er musste schnellstens den Wagen loswerden und einen Unterschlupf außerhalb des Rasters finden.
    Aber zunächst einmal kam die Beerdigung. Hollis folgte der Karte zum Steinhuder Meer, einem Naturschutzgebiet nordwestlich von Hannover. Viersprachige Hinweisschilder markierten den Weg zum Toten Moor, einer sumpfigen, mit Heidekraut und braunem Gras bewachsenen Gegend. Es war ein Wochentag und kurz vor Mittag, und auf dem Parkplatz waren nur wenige Fahrzeuge abgestellt. Hollis ließ den Wagen ein paar Kilometer über einen Schotterweg rollen, wickelte Mother Blessings Leichnam in die Decke ein und trug ihn durch das Moor, bis er eine geeignete Stelle mit Gestrüpp und Zwergweiden gefunden hatte.
    Zu Lebzeiten hatte Mother Blessing eine latente Gereiztheit ausgestrahlt, die jeden eingeschüchtert hatte, der ihr begegnet war. Als der irische Harlequin nun auf der Seite in seinem flachen Grab lag, wirkte sie viel kleiner und schmächtiger, als Hollis sie in Erinnerung gehabt hatte. Mother Blessings
Gesicht lag unter der Decke verborgen; Hollis wollte ihr nicht in die Augen blicken. Als er die feuchte Erde ins Grab schaufelte, sah er ihre kleinen weißen, immer noch zur Faust geballten Hände.
    Hollis ließ das Auto an der holländischen Grenze stehen, bestieg die Fähre nach Harwich und anschließend den
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